Im ersten Teil hatten wir euch von unserer turbulenten Anreise via Moskau inklusive 9 Stunden Verspätung und unseren ersten Tagen in Odessa erzählt. Eine Anreise, die sich trotz aller Irrungen und Wirrungen im Nachhinein als nahezu lächerlich einfach erwiesen hat, wenn man sie mit der Anreise des Alba Teams vergleicht, aber dazu später mehr. Der Reihe nach.
Dienstag, 28.01.2014. Dieser Tag war als weiterer reiner Touristen Tag eingeplant und wurde von uns entsprechend genutzt. Touristisch hat Odessa Einiges zu bieten. Ein wenig durchkreuzte das Wetter – eisige Kälte mit einer wind chill Temperatur (¨gefühlte¨ Temperatur) von deutlich jenseits -20 Grad, starker Wind und immer leichter Schneefall – unsere Pläne. Man sagt zwar, es gäbe kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung, aber selbst die beste Kleidung macht bei diesen Bedingungen irgend wann schlapp. Viel länger als eine halbe Stunde am Stück konnte man es draussen nicht aushalten. Somit war Museums- und Kirchen hopping angesagt. Stadtbesichtigung und Aussen-Denkmäler wurden zwischen zwei Museen und Kirchen gepackt. Odessa ist eine sehr sehenswerte Stadt, im Sommer muss es zusammen mit dem nahe gelegenen Strand des Schwarzen Meeres traumhaft sein. Odessa ist auch ambivalent, die Schere zwischen super reich und sehr, sehr arm klafft weit auseinander, was fehlt, ist eine Mittelschicht. Man kann in Odessa auch viel Geld ausgeben, sei es in Hotels, Restaurants oder Boutiquen. So ziemlich jede Nobelmarke der Welt findet sich auch in Odessa (welche spielt keine Rolle, Schicki & Micki geht es auch so schon gut genug, ohne daß wir auch noch Werbung für die machen). Es gibt nichts, was es in Odessa nicht gibt, allerdings nur für sehr wenige.

Unser Touri-Trip führte uns auch zu der berühmten Oper von Odessa. Eigentlich wollten wir die nur mal besichtigen, denn allein das lohnt sich schon. Die Oper ist ein Wahrzeichen der Stadt und wurde für viel viel Geld (auch dank privater Sponsoren und lokaler Unternehmen) aufwändig restauriert. Dann ergab sich durch Glück oder den Fakt, dass aktuell nicht gerade Hochsaison in der Stadt ist, sogar die Möglichkeit, Karten erwerben. Normalerweise muss man die wochenlang vorher bestellen. Wir kauften zwei Karten für Guiseppe Verdis „Troubadour“ in einer Loge, erste Reihe, für knapp 15 Euro pro Person, ein Preis, für den dir die Kassiererin an der Staatsoper Berlin nicht mal Guten Tag sagt, geschweige denn eine Karte verkauft. Wir gehen nicht oft in die Oper, schon gar nicht regelmäßig, aber wenn sich schon mal die Gelegenheit ergibt, sind wir auch dafür offen. Dass wir uns das Libretto ganz umsonst aus dem Internet herunter geladen haben (falls wir spontan auf die Idee kommen würden, mitsingen zu wollen 😉 ) und die Karten später der netten Dame an der Hotelrezeption schenken würden, konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Wir haben einen gut bei Alba, würd‘ ich mal sagen …

Das Ende und auch ein kleiner Höhepunkt unserer Museums-Kirchen-Denkmäler-Cafes-Tour war das direkt gegenüber von unserem Hotel in der Prachtstrasse Deribasowska gelegene Schokoladen-Museum. Nicht nur, weil sich eine Verkostung anschloß (ich liiiieeeeebe Schoki), vor allem aber, weil sich spontan ein junger Odessiter bereit fand, die Führung für uns ins Englische zu übersetzen. Dazu muss man wissen, daß jenseits von Hotels und Restaurants fast niemand in der Stadt Englisch spricht, selbst in den Museen, Kirchen und öffentlichen Einrichtungen ist nur ab und an mal etwas auf englisch beschriftet. Wenn sich dann die eigenen Russisch-Kenntnisse auf ca. 100 Worte beschränken, wird es schwierig. Dieser junge Mann war jedenfalls als Schiffskoch mal zur See gefahren und konnte deshalb ganz gut Englisch. Abgesehen davon, dass die Führung durchs Schokoladenmuseum recht interessant war, bot sich auch die Gelegenheit, mal mit ihm über die politische Situation in der Ukraine zu sprechen. Wir wurden im Vorfeld mehrmals gefragt warum wir ausgerechnet in der aktuellen Situation in die Ukraine reisen würden und fragten uns auch selbst, ob es nicht sogar fahrlässig ist. Wir hatten uns vor der Reise so gut wie irgendwie möglich über diverse Kanäle (Internet, Auswärtiges Amt uam.) über die Lage in der Ukraine im Allgemeinen und die in Odessa im Speziellen informiert und auch gewisse Vorkehrungen getroffen, wie z.B. die deutsche Botschaft informiert, wann und wo wir uns im Land aufhalten werden. Das Risiko hielten wir trotz gewisser Bauchschmerzen für uns vertretbar. Zurück zur politischen Situation. Der junge Mann machte einen relativ daefetistischen Eindruck. Sinngemäß meinte er, ihn (und die meisten Odessiter) interessiert es nicht besonders, was in Kiew passiert, Kiew ist weit weg und Kiew ist Kiew und Odessa ist Odessa. Für Odessa ändert sich nicht viel, ob in Kiew nun die einen oder anderen regieren. Die meisten Odessiter fühlen sich unbeteiligt, wenn überhaupt, dann eher leicht auf der Seite von Janukowitsch, der wie die meisten Odessiter ebenfalls russischer Abstammung ist.
Am Abend trudeln die ersten Meldungen über Albas Odyssee durch den ukrainischen Winter ein. Wir verfolgen das aufmerksam und drücken natürlich die Daumen. Kiew – Odessa – doch nicht Odessa – Rückflug nach Kiew – doch nicht Rückflug nach Kiew – Umleitung nach Kharkow, 600 km von Odessa weg an der russischen Grenze.

Mittwoch, 29.01.2014, Gameday (Denkste!). Die erste Frage am Morgen: Wo ist Alba? Alba ist noch in Kharkov. Die nächsten Fragen stellt RadioEins per Telefon-Interview, möchte etwas über die Lage in der Ukraine wissen und über das bevorstehende Spiel. Wir sind froh, nichts, aber auch gar nichts über irgend welche Unruhen in Odessa berichten zu können, verweisen auf die historisch bedingte Nähe Odessas zu Russland (zu Zeiten, als aus ethnologischer Sicht längst von der „Ukraine“ gesprochen wurde, wurde Odessa gerade mal von der Zarin deutscher Herkunft als Freihafen und Regional-Hauptstadt von Neu-Russland gegründet und war eigentlich so gut wie immer unter russischem Einfluss) und unsere Erkenntnisse aus dem Gespräch mit dem jungen Odessiter. Bezogen auf das Spiel zwischen Chimik Juschne und Alba Berlin sind die Aussichten Albas aufgrund de Umstände der strapaziösen Anreise natürlich nicht großartig, aber wenn nicht wir an das Team glauben, wer dann noch? Wer mag, kann sich das hier noch mal anhören: RadioEins, Der schöne Morgen, Alba in der Ukraine.
Die Odyssee von Alba durchkreuzt auch in gewisser Weise unsere Pläne für den Tag. Es sickert durch, daß das Spiel noch an diesem Tag (Mittwoch), jedoch erst später, d.h. gegen 2o Uhr / 21 Uhr Ortszeit, stattfinden könnte. Wir sind im Kontakt mit dem Presse Manager von Khimik Yuzhne, aber dieser meint, konkret lässt sich erst etwas sagen, wenn Alba wirklich in Odessa / Yuzhne angekommen ist. Tatsächlich macht sich Alba gegen Mittag per Flugzeug auf den Weg nach Odessa, setzt zur Landung an … und dreht dann wieder ab. Nun geht der Flug – mal wieder – nach Kiew. Für uns ist damit klar, dass heute mit Sicherheit kein Basketballspiel stattfinden wird. Seitens Khimik Yuzhne und Alba Berlin heisst es, das Spiel würde nach Möglichkeit am Donnerstag nachgeholt werden. Aber erst mal müsse das Alba-Team WIRKLICH ankommen. Per eigener Webseite und sozialer Medien begleitet Alba Berlin die Tor-t(o)ur des Teams auf ganz großartige Art und Weise, man fühlt sich immer gut informiert. Für uns ist das Abdrehen gen Kiew der Zeitpunkt, das Spiel für den Mittwoch abzuhaken und uns wieder dem Tourismus zu widmen. In Odessa kann man sehr gut und teuer oder sehr billig essen gehen. Echte haute cuisine bekommt man zu Preisen eines durchschnittlichen Menüs in Deutschland. Das Nachtleben bzw. „Nachtleben“ Odessas besteht jedoch größtenteils aus alten Männern, die mit ihren „ukrainischen Enkelinnen“ tanzen gehen (isses nich nett? *rolleyes*). Echt nicht das Wahre! Eine „echte“ club szene soll es wohl geben, aber nicht in der absoluten Innenstadt und im tiefsten Winter ist wohl auch nicht wirklich viel los, im Sommer steppt überall der Bär.
Donnerstag, 30.01.2014 Gameday! (Jetzt wirklich!). Nach dem Aufwachen bringen wir uns erst mal auf den neuesten Stand in Sachen Team-Odyssee. Alba ist aufgrund leichten Drucks der Euroleague in der Nacht noch über 8 Stunden per Bus durch den ukrainischen Winter gefahren und morgens in Juschne eingetroffen. Endlich! Damit steht einem Spiel am Abend nun nichts mehr im Wege, vom Pressechef Juschnes erfahren wir, daß es für 20 Uhr Ortszeit angesetzt ist. Wir haben noch Zeit fürs Archäologische Museum und müssen uns dann auch schon bald auf den Weg machen.
Gegen 16 Uhr verschenken wir noch schnell unsere Opernkarten (deutlich sinnvoller, als sie einfach verfallen zu lassen) und machen wir uns auf den Weg nach Juschne. Normalerweise braucht man für die Strecke Odessa – Juschne ca. eine Stunde, uns wurde jedoch geraten, bei den Wetterverhältnissen besser zwei Stunden einzuplanen. Tatsächlich braucht der Taxifahrer dann doch nur 1:15 Stunden. Die Fahrt führt uns vorbei an den nicht ganz so schönen, glänzenden Ecken Odessas und durch die schneebedeckte ukrainische Steppe. Irgendwann taucht Juschne aus dem Nichts auf, eine Wohn- und Arbeiterstadt, in der nichts älter als 40 Jahre alt ist, die Mitte der 70er Jahre als Industriehafen für Odessa aus dem Boden gestampft wurde. Unwirklich, wie ein Fremdkörper, ein UFO in der Wüste, wirkt die hypermoderne Halle.
Denis Novikov, Medien Direktor von Khimik Yuzhny empfängt uns an der Halle und lädt uns auf einen Tee ein. Denis ist ein freundlicher und höflicher Mensch und jammert deshalb nicht, aber klar ist natürlich: So bescheiden, wie die Situation für Alba ist, mindestens genauso bescheiden ist sie für Khimik Yuzhny. Man muss sich die Situation einfach mal umgekehrt vorstellen. Das Spiel findet in der O2 world statt, die ist halbwegs gut verkauft, irgendwann heisst es, dass das Spiel ausfällt (viele haben sich bereits umsonst auf den Weg gemacht) und VIELLEICHT einen Tag später stattfindet und die Leute irgendwann informiert werden, ob überhaupt und wenn ja zu welcher Zeit. Viel Fantasie braucht man nicht, um sich die Reaktionen der Berliner vorzustellen. Um wenigstens etwas die Situation zu retten und damit die Leute nicht komplett den Humor verlieren, findet es das Spiel ohne Eintritt statt. Denis hätte genug Grund, zu lamentieren, verliert aber über die Situation kein einziges böses Wort. Stattdessen erfahren wir einiges Interessantes über Juschne, den Basketballverein und die allgemeine Sportszene der Stadt. Juschne ist eine Kleinstadt mit gerade mal 30.000 Einwohnern, hat jedoch die europäisch spielende Basketball-Mannschaft, ein ebenfalls europäisch aktives Frauen-Volleyballteam, eine Erstliga-Handballmannschaft und das nationale Kanu-Zentrum inklusive Olympiasieger zu bieten. Und – so erstaunlich, wie das für ein 30.000 Einwohner Städtchen klingt – sogar noch eine zweite Halle, neben der, wo Chimik und Alba aufeinander treffen und auch schon Dirk Nowitzki und die deutsche Basketball-Nationalmannschaft gespielt haben. Der erstmalige Auftritt der Basketballer im Eurocup ist für den Verein ein großes Ereignis. Erwartungen hatte man zu Beginn keine, ausser so gut wie möglich zu spielen und der Einzug in die zweite Runde war ein großer Erfolg. Solange man aber rechnerisch Chancen hat, will man – natürlich – auch noch eine Runde weiter.
Für uns geht es dann endlich in die Halle, die von innen nicht mehr ganz so beeindruckend, wie von aussen wirkt. Eine Kapazität von ca. 2’000 Zuschauern ist natürlich recht klein, aber passend zur Größe der Stadt. In der Halle treffen neben dem Team auch auf die anderen sechs Alba-Fans, die sich auf den Weg nach Juschne gemacht haben. Einige von ihnen habe ich schon in diversen Hallen Europas getroffen … aber noch nie in der O2 world. Verrückte Welt. Schön, dass wir immerhin acht Supporter sind.
Gan
Ganz großartige, professionelle Fotos vom Spiel findet ihr in der Fotogalerie von Ira Somova (isport), einer ukrainischen Fotografin, die vor Ort war und uns erlaubt hat, ihre Fotos zu verwenden (per click aufs Foto kommt ihr zur Galerie):
Das Spiel werden sicher viele im live stream gesehen haben. Darauf braucht man im Detail sicher nicht mehr einzugehen. Als Augenzeuge live vor Ort war dieses Spiel ein Besonderes. Man sah den Spielern die Müdigkeit direkt an, sie waren übernächtigt, grau im Gesicht, die einen mehr die anderen weniger. Man spürte regelrecht, wie sie sich quälen, man sah, wie wenig gelingt (z.B. im dritten Viertel über viele Minuten drei winzige Freiwurf-Pünktchen), man erwartete regelrecht den Einbruch. Und der kam! Chimik kam immer dichter, zog vorbei und war 100 Sekunden vor Schluss mit sieben Punkten vorn. Die Fans von Juschne waren jetzt oben auf. Die Fans hinterließen generell aber einen sehr netten und freundlichen Eindruck, unterstützten in erster Linie das eigene Team mit positivem Support. Unser Glaube sinkt, die Hoffnung bleibt und mit einer schier unglaublichen Willensleistung rettet sich Alba in die Verlängerung und gewinnt noch das Spiel. Jubel, Trubel, Heiterkeit bei Fans und Team. Die entscheidenden Szenen, d.h. das Ende der regulären Spielzeit mit Jan Jaglas dunk und das Ende der Verlängerung, haben wir in der Halle mitgefilmt:
In der Pressekonferenz ist Sasa Obradovic sehr stolz auf sein Team, ganz besonders auf die charakterliche Stärke, die seine Spieler trotz all der widrigen Umstände bewiesen haben. Dank der „Vermittlung“ von Denis fuhren wir mit den Cheerleadern von Chimik Juschne noch nach Odessa. Das war sehr nett.

Freitag, 31.01.2014 Es ist viiiiieeeel zu zeitig, viiiiiel zu wenig Schlaf, aber es nützt ja alles nichts! Wir müssen / sollen / wollen wieder nach Hause. Frühstück MUSS aber noch sein und dann noch schnell irgendwie die Klamotten in den Koffer geschmissen. Auschecken aus dem Hotel, Taxi zum Flughafen. Der Weg vom Hotel zum Flughafen ist offensichtlich nur halb so weit, wie der Weg vom Flughafen zum Hotel. Ansonsten würde das Taxi bei der Rückfahrt ja nicht nur halb so viel kosten, wie bei der Hinfahrt 😉 und das obwohl wir auf der Hinfahrt den Preis schon um ein Drittel runter gehandelt hatten. Am Flughafen treffen wir die sechs anderen Alba-Fans wieder und schlagen gemeinsam die Zeit bis zum Abflug tot. Der Rückflug – wieder über Moskau – verläuft pünktlich, unspektakulär und fast schon langweilig. Am späten Nachmittag hat uns Berlin wieder und wir einen interessanten und ungewöhnlichen Trip hinter uns, den wir ganz und gar nicht bereut haben. (Wenige Stunden später ging es dann schon wieder mit Basketball, d.h. Alba-II gegen Bernau und Alba gegen Bayreuth weiter.)

toller Bericht, danke, dass ich eure Reise „miterleben“ durfte
Vielen Dank, da hat sich die Mühe, es zu erzählen, gelohnt, wenn jemand Spaß daran hat. Wobei „Mühe“ vielleicht das falsche Wort ist. Zeitlicher Aufwand trifft es besser.
Auf diesen 2. Teil hab ich gewartet… und gehofft, dass die Angelegenheit mit den Cheers n Witz war… shit 😀
Darüber macht man keine Witze 😀