Über das Nachwuchsprogramm von Alba Berlin ist viel geredet und geschrieben worden. Es ist schon allein durch die schiere Größe beeindruckend und schon dadurch anerkennenswert, dass es tausende Kinder dazu motiviert, (Breiten-)Sport zu betreiben. Darüber hinaus gibt es aber im Nachwuchsbereich auch das Leistungsprogramm für die Besten der Vielen, aus dem sich im idealen Falle mal Spieler für das Profi-Team entwickeln sollen. Dieses Nachwuchsprogramm ist fast 10 Jahre lang Moritz Wagner (17) durchlaufen. Dieser ist für diejenigen unter den Alba-Fans, die nicht regelmäßig die Nachwuchsteams beobachten – das sind leider viele –, in diesem Sommer sehr überraschend im Profiteam von Alba Berlin aufgetaucht. Die meisten Berliner Fans wissen nicht besonders viel über den Jüngsten im Alba Team, Grund genug für alba-inside, sich einmal ausführlich mit ihm zu unterhalten.

Hallo Moritz, du unbekanntes Wesen im Kreise „Alba Berlin“. Nur sehr wenige, die mal die NBBL und die Regionalliga verfolgt haben, kennen dich, für alle anderen Fans bist du wie „Phönix aus der Asche“ aus dem Nichts erschienen. 90 % der Alba-Fans kennen dich noch nicht, das wollen wir jetzt ändern. Wir möchten dich ein wenig vorstellen, aufzeigen, wo du her kommst, wo du hin willst. Vielleicht kannst du dich selbst mal kurz vorstellen.
Ich bin Moritz, 17 Jahre alt, und habe jetzt nach nur 11 Jahren bereits mein Abitur gemacht und habe deshalb jetzt ein Jahr, in dem ich mich ausschließlich auf Basketball konzentrieren kann. Sportlich bin ich von klein auf schon immer bei Alba gewesen und bin schon seit fast 10 Jahren im Verein. Dass ich jetzt beim Profi-Team mittrainiere kam für mich genauso überraschend wie für die meisten anderen. Das ging alles sehr schnell. Es kam alles Schlag auf Schlag. Erst die Deutsche Meisterschaft im Frühjahr, dann habe ich in der U18-Nationalmannschaft gespielt und jetzt bin ich mit den Profis von Alba hier in Görlitz. Hätte mir das alles jemand vor einem halben Jahr erzählt, hätte ich dem einen Vogel gezeigt.
Ich lebe mit meiner Familie im Prenzlauer Berg, ziemlich nahe an der Max-Schmeling-Halle dran. Eigentlich wohne ich schon immer dort und ich bin auch schon ewig Alba-Fan und -Mitglied.
Du scheinst wirklich stolz darauf zu sein, deine ganze bisherige Zeit als Spieler bei Alba verbracht zu haben. Woher kommt diese starke Verbundenheit?
Mit dem Stolz ist es so eine Sache. Ich bin mit acht Jahren über die Schul-AG zu Alba gekommen. Von den Jungs, mit denen ich damals angefangen habe, ist jetzt beim NBBL-Team fast keiner mehr da, die sind fast alle irgend wann in den Jugendteams stehen geblieben. Deshalb denke ich schon, dass man ein bisschen stolz sein kann, es so weit geschafft zu haben. Wie viele Kinder hatte ich zunächst mit Fußball begonnen, gewissermaßen als „Chancentod“, mich dann aber, auch aufgrund meiner sich andeutenden Größe, für Basketball entschieden, was offensichtlich die richtige Wahl war.
Wie groß bist du jetzt und wächst du noch?
Ich bin jetzt 2,07 m groß und es wurde mir gesagt, dass ich so zwischen 2,07 und 2,09 Meter groß werden würde. Mal sehen. Meine Füße wachsen nicht mehr, ich spiele einfach Basketball und schaue mal, wie groß ich dann werde.
Du spielst jetzt schon seit 10 Jahren bei Alba, auch schon immer im Leistungsbereich, aber so richtig aufgefallen bist du eigentlich erst im letzten Jahr im NBBL-Team. Woher kam noch mal dieser große Leistungssprung?
Ich kann mir das eigentlich auch nicht so richtig erlären. Ich habe auch wenig Erfahrung mit Werdegängen von Basketballern und kann das gar nicht so richtig einschätzen. Bei mir war es schon immer so, dass ich gerne Basketball spiele und versucht habe so viel wie möglich zu lernen. In den letzten drei Jahren war es so, dass man es als Zuschauer gesehen hat – und ich es selbst auch so sehe, wenn ich mir meine Spiele ansehe -, dass da jemand ist, der es versucht, aber nicht so zu 100 % hinkriegt. Und im letzten Jahr ist es mir dann gelungen, auch Sachen zu machen, die man auch auf dem Statistikbogen sieht, z.B. zu rebounden. Oder genau die Sachen zu machen, die das NBBL-Team in der letzten Saison von mir gebraucht hat. Oder zu verteidigen, auch wenn das nicht gerade mein Steckenpferd ist. Der Rest kam dann irgendwie von alleine. Ich habe immer versucht, so viel wie möglich zu lernen und mir so viel wie möglich abzugucken. Dann kam im letzten Jahr auch noch mal ein Wachstumsschub und irgendwann hat es einfach „klick“ gemacht. Obwohl, ich bin ja noch nirgendwo angekommen …
Wo siehst du dich perspektivisch bezüglich der Spielposition? Dein Wurf von außen ist recht sicher, dein ball handling auch ordentlich, du kannst dich mit und ohne Ball gut bewegen, damit könntest du auch gut auf der kleinen Flügelposition spielen. Natürlich, mit 2,07 m oder 2,09 m ist die erste Überlegung, unter den Korb zu gehen, allerdings wäre es im modernen Basketball auch nicht extrem ungewöhnlich, mit 2,07 m auf der small forward Position zu spielen, dafür gibt es ja auch ein paar prominente Beispiele. Wo siehst du dich selbst, hast du schon Vorstellungen wo du dich mal hin entwickeln möchtest?
Ich bin sehr dankbar für diese Einschätzung und freue mich, dass man das auch vom Spielfeldrand sieht, dass ich gerne mal nach außen auf die small forward Position gehe. Ich wollte schon immer beide Positionen trainieren und sehe mich perspektivisch auf beiden Positionen. Ich mag es, auch mal kreativ zu sein im pick and roll. Für die Zukunft habe ich mir vorgenommen, mich weiter auf beide Positionen zu konzentrieren, gerade in der NBBL und Regionalliga. Hier bei den Profis sehe ich mich im Moment auf der Vier, das ist was von mir gewollt ist. Ich spiele jetzt zum ersten Mal auf Profi-Niveau richtig strukturierten Basketball, da reicht es, mich erst mal auf eine Position zu konzentrieren. Da muss ich erst mal versuchen, mich zurecht zu finden und mich zu stabilisieren. Aber es stimmt generell schon, dass ich mich auch auf der Drei sehr wohl fühle und versuche, das Spiel dort weiter zu entwickeln und dort später vielleicht auch mal spielen möchte. Mit meiner Größe hätte man auf der Drei sicher auch ein paar Vorteile.
Aber bei Sasa Obradovic konzentrierst du dich erst mal auf die große Flügelposition?
Wir haben am Anfang geguckt und ich habe auch mit Sasa darüber geredet, was aktuell für mich das Beste ist. Ich wurde ja ins kalte Wasser geworfen und bin froh, wenn ich es auf der Vier hinkriege. Wenn Sasa sagt, ich soll auch mal auf der Drei spielen, dann gebe ich dort auch mein Bestes und versuche die Sets dann auch da zu laufen und zu verteidigen, aber aktuell konzentriere ich mich hier erst mal auf die Vier.
Sasa Obradovic gilt nicht gerade als Coach, der Spieler mit Samthandschuhen anfasst. Wie ist das für dich als junger Spieler, wenn er mal etwas lauter wird?
Ich war ehrlich gesagt, wie … einfühlsam ist das falsche Wort .. wie intensiv er auf Leute eingeht, wie intensiv er auf mich eingegangen ist. Natürlich kriegt man mal was zu hören, was ja auch nur die Bestätigung dafür ist, dass man etwas falsch gemacht hat. Aber er als Coach nimmt mich auch mal zur Seite und sagt mir, dass ich nichts persönlich nehmen soll, immer den Kopf oben behalten soll, dass das nur eine Hilfe für mich sein soll, damit ich auch irgendwann mal dem Team helfen kann und es nicht nur mir hilft, mit dem Team zu trainieren. Ich bin dankbar dafür, dass ich mittrainieren kann, dankbar für jeden Hinweis und jede Information, auch wenn es mal etwas lauter ist. Ich kann nicht behaupten, dass ich deshalb schlecht schlafen würde.
Bis vor einem halben Jahr kanntest du Sasa Obradovic wahrscheinlich auch nur als Zuschauer in der O2 world, sahst ihn in den Auszeiten gestikulierend auf seine Spieler einreden. Inwieweit hat sich dein Eindruck von ihm nun durch den persönlichen Kontakt geändert?
Ich habe mir früher gar nicht viele Gedanken darüber gemacht, was er wohl für ein Typ ist, denn ich kannte ihn ja gar nicht, hatte nur gelesen, dass er ein sehr guter Coach ist. Aber jetzt sehe ich ihn jeden Tag und arbeite mit ihm und es ist für mich ein großes Glück. Man merkt, wie basketball-verrückt im positiven Sinn er ist. Man merkt, dass alles einen Sinn hat und es ist beeindruckend, wie sehr er auf jedes Detail er achtet und wie detailverliebt er ist. Und man hat ja in den letzten beiden Jahren gesehen, dass das auch zum Erfolg führt. Das habe ich in diesem Ausmaß noch nicht erlebt. Ich habe neulich mal die Jungs gefragt, warum er so schlecht drauf wirkt, selbst wenn wir gewonnen haben. Und die haben mir gesagt, wie naiv ich doch bin, was für eine süße Frage ich stelle. Er ist immer so, immer unzufrieden. Es ist sehr interessant, diesen Perfektionismus mitzubekommen, das gefällt mir sehr gut.
Zurück zu dir. Wie schafft man es in elf Jahren das Abitur zu machen, das ist ja ziemlich außergewöhnlich. Manche schaffen das in 13 Jahren nicht …
Das wurde ich schon öfter gefragt. Ursprünglich waren es mal 13 Jahre. Dann war ich der erste oder zweite Jahrgang, bei dem es auf 12 Jahre verkürzt wurde und zusätzlich habe ich noch eine Klasse durch ein sog. Schnellläufer-Programm übersprungen und bin deshalb schon mit 17 Jahren fertig. Jetzt habe ich ein Jahr Luft. Das letzte Jahr mit Schule und Leistungssport parallel war allerdings schon ziemlich hart. Auch in der Schule wollte ich so gut wie möglich sein und mein Bestes geben. Das war schon heftig für mich und ich bin froh, es jetzt hinter mir zu haben.
Wie ist das Abi gelaufen?
Ganz gut, würde ich sagen, mit 2.0 bin ich zufrieden.
Du sprachst gerade an, dass es hart für dich war. Du bist ja in einem Alter, in dem deine Freunde feiern gehen oder andere lustige Dinge unternehmen, während du deine Zeit für Training und Spiele opferst …
Ja, das stimmt. Neulich hat mir ein Freund, dem ich sehr oft absagen musste, ein Foto von einem Zeitungsartikel über Albas Nachwuchsarbeit geschickt, wo mein Name drin erwähnt wurde. Und er meinte ‚Nicht schlecht, jetzt verstehe ich auch, warum du immer absagst, das hat nichts mit mir zu tun‘. Es ist schon hart, so oft absagen zu müssen, aber dafür bin ich jetzt hier bei Alba. Das ist es wert.
Du bist jetzt mit dem Abi fertig und konzentrierst dich komplett auf Basketball?
Ja, ich konzentriere mich jetzt ein Jahr lang komplett auf Basketball. Ich schaue von Jahr zu Jahr und bin froh jetzt hier sein zu dürfen und versuche, so viel wie möglich aufzusaugen. Dann sehen wir weiter. Wenn man irgendwann mal zu den hundert besten im Land gehören und es bis in die BBL oder sogar noch weiter schaffen will, geht es auch nicht anders, als sich voll darauf zu konzentrieren. Da kann man nicht nebenher noch einen Halbtagsjob oder ein Studium zu machen. Nachdem ich jetzt mal zwei Monate in den Profi-Bereich reinschnuppern durfte, merke ich schon, wie anstrengend das ist. Ich bin schon froh, wenn ich in der Mittagspause im Bett liegen darf und abends genauso. Da ist aktuell kein Platz für ein Studium.
Ist College gar kein Thema für dich?
Das ist ein Thema, das durchaus auch im Hinterkopf ist, aber das ist noch ein bisschen weg. Ich bin so ein Typ, der sich erst mal auf das Jetzt konzentriert, weil ich ganz genau weiß, das mich so etwas auf dem Rhythmus bringt und mich das im Training und Spiel in der Konzentration stört. Mit dem Thema College beschäftige ich mich erst, wenn die Zeit dafür reif ist. Jetzt noch nicht. Den Entscheidungsdruck will ich mir jetzt noch gar nicht machen, da gibt es so viele Dinge zu beachten, so viele Vorteile und auch Nachteile. Ich kann noch zwei Jahre in der NBBL spielen, die Frage nach dem College stellt sich frühestens in einem Jahr. Oder erst 2016? Ich weiß es gar nicht so genau. Ich versuche so viel wie möglich bei der NBBL und in der Regionalliga mitzunehmen, so wie Ismet [Akpinar] im letzten Jahr. Ich meine, neben hier mit den Profis zu trainieren und mal ein paar Minuten oder Sekunden Spielzeit zu bekommen, ist auch wichtig viel Spielpraxis zu bekommen und das hier bei Sasa und den Jungs Gelernte in der zweiten Mannschaft umzusetzen. Ich fühle mich im Alba-Programm sehr, sehr wohl und ich merke, dass hier sehr an mich geglaubt wird und mir sehr großes Vertrauen entgegengebracht wird.
Wie groß ist der Unterschied in Bezug auf die Intensität hier bei den Profis und bei den Einheiten mit der zweiten Mannschaft?
Es sind hier bei den Profis verschiedene Ebenen von Intensität. Man muss hier viel bereiter und wacher im Kopf sein. Das wirkt sich auch auf den Körper aus. Man muss die ganze Zeit unter Anspannung sein. Während man bei der NBBL zwischendrin auch mal Luft holt, ist es hier etwas ganz anderes, das ist hier gar nicht möglich, weil man so viel wie möglich mitnehmen möchte. Ismet meinte gestern, dass ihm die 15 Minuten, die er gespielt hat, vorkamen, wie ein komplettes NBBL-Spiel. Bei mir ist es das Gleiche. In den acht Minuten, die ich gespielt habe, bin ich ganz schön hin und her gerannt und wenn man dann noch den Ball rein machen muss, das ist schon ganz schön anstrengend. Aber das ist sicher auch eine Sache der Gewöhnung. Es ist auch nicht nur eine Frage, was man selbst macht, sondern auch der Druck, den der Gegner auf einen macht, ist viel, viel höher. Defensiv ist das eine ganz andere Sache. Man kann nie mit durchgedrückten Knien dastehen, es geht auch alles viel schneller. Es ist bei Sasa auch in der Verteidigung ein detaillierteres System, wo man auf viel mehr achten muss. Manchmal geht es mir so, dass ich mit dem Kopf bereit bin und weiß, wo ich genau sein müsste, aber es machen die Beine nicht mit und ich bin dann trotzdem eine Sekunde zu spät. Und dann ist der Coach sauer. Aber da lernt man natürlich dazu.
In die „Mucki-Bude“ musst du auch noch ein bisschen, oder?
Ja, das ist ein gutes Thema. Ich würde auch gerne mal Kraftübungen ohne Stock machen, mal richtig mit Gewichten, aber ich bin ja ein eher schmächtiger Typ und muss da ein bisschen aufpassen. Ich bin in dieser Beziehung in sehr intensivem Kontakt mit unserem Athletiktrainer Dutsi [Anm.: Dusko Markovic] und fühle mich bei ihm sehr gut aufgehoben. Ich weiß, dass es ein sehr großes Thema für mich sein wird, in den nächsten Jahren noch ein paar Kilo drauf zu packen. Ich war auch verletzungsanfällig mit meinen Knien und versuche das auch durch mehr Stabilität in den Griff zu bekommen, um konstant auf einem hohen und intensiven Level spielen zu können. Ich bin da guter Dinge, dass ich in Zukunft auch physischer spielen kann. Ich muss mir auch ab und an mal Sprüche anhören, weil ich so ein „halbes Hemd“ bin, sogar schon bei der NBBL, hier sowieso. Aber ich versuche mich da nicht allzu sehr unter Druck zu setzen, ich wachse erst mal aus, das mit der Kraft wird dann schon kommen. Muss kommen. Bei Dutsi bin ich in guten Händen, der wird das schon richtig dosieren, zu schnell zu viel ist auch nicht so gut.
Kannst du dich noch erinnern, wie das Gefühl war, als du das erste Mal für die Profis auf dem Spielfeld standest?
Als ich die ersten Sekunden spielen durfte, das war ein Wahnsinnsgefühl! Und dann als ich meinen ersten Punkt gemacht habe, einen Freiwurf, das war schon eine tolle Sache, ein stats sheet mit dem eigenen Namen drauf zu sehen. Ich stand da an der Linie und habe die Blicke, die auf mich gerichtet waren richtig gespürt. Dass dann der Name Wagner auf dem Bogen stand, das fand ich schon stark und da bin ich auch ein bisschen stolz drauf. Und es ist immer noch ein tolles Gefühl, selbst wenn ich 30 Sekunden garbage time bekomme. Ich fühle mich bei Alba sehr, sehr gut aufgehoben und ich weiß auch, dass hier an mich geglaubt und mir Vertrauen geschenkt wird. Das spüre ich.
Hebst du dir das stats sheet mit deinem ersten Punkt für Alba Berlin auf?
Das habe ich leider gar nicht.
Das besorgen wir dir, versprochen!
(Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen, beim Spiel um den BEKO BBL Championscup haben wir Moritz dieses kleinen Erinnerungsstück übergeben).
hier findet ihr noch einen link zur video message von Moritz Wagner.
Ein Gedanke zu „Wagner auf dem Weg – Moritz im Interview“