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Interessante Erfahrungen in Tel Aviv

Tel Aviv: Eine der stimmungsvollsten Hallen Europas

Viele Leute meinen ja, ein bisschen bekloppt müsse man schon sein, um nur für ein Basketballspiel knapp 4000 Kilometer durch die Weltgeschichte nach Israel zu fliegen … und wenn um 4 Uhr 30 der Wecker klingelt, ist man absolut geneigt, diesen Leuten recht zu geben. Mit Blick auf die Umwelt ist es auch nicht gerade political correct, aber da zählt für jeden einzelnen auch die Gesamtbilanz. Zudem ist das Basketballspiel auch eher der Aufhänger für eine gemeinsame Reise, nicht das einzige Ziel.

Israel also … Mailand oder Madrid, Hauptsache Südeuropa, mal abgesehen von der Sprache nimmt sich das alles nicht so viel. Das ist alles eine relativ ähnliche Kultur und selbst zu Berlin sind die Unterschiede nicht riesig. Israel ist da anders, komplett anders, eine Sprache, die nicht nur von rechts nach links geschrieben wird, sondern auch noch aus Zeichen besteht, bei denen der Mitteleuropäer wirklich nichts erkennen kann und eine Kultur, die mit unserer nur sehr, sehr wenig gemein hat. Aber wer es schon nach Juschne bei Odessa in der Ukraine während Kriegszeiten, zu nahezu weltweit bekannten hot spots wie Woclawek, ein Kaff irgendwo in Polen geschafft, in den USA, auf Kuba und in Sachsen gelebt hat, für den ist auch Israel nicht das ganz große Abenteuer, auch wenn der letzte Besuch fast 30 Jahre her ist.

Die berüchtigten Kontrollen bei der Einreise hielten sich sehr in Grenzen, am Flughafen und im Stadtbild sieht man jedoch ständig Uniformierte mit Schnellfeuerwaffen, auch Frauen. Das ist für den Mitteleuropäer doch ein ungewohntes Gefühl, zeigt aber deutlich auf, dass sich das Land seit dem Bestehen de facto im Krieg befindet. Ob und welchen Anteil sie daran eventuell selbst haben, würde hier den Rahmen sprengen, selbst wenn sich diese Problematik auch immer mal wieder auf die sportliche Ebene ausgewirkt hat.

Ankommen, Unterkunft suchen, Sachen abschmeißen, ab zum Strand! Das war alles eins. Diese Idee hatten wir nicht exklusiv. Kein Wunder bei 31 Grad, Sonne und keinem Wölkchen am Himmel. Wo kann man das im November in relativer Nähe sonst noch erleben? Neben halb Tel Aviv hatten auch die Alba Trainer und Staff den gleichen Gedanken – die Spieler am Spieltag natürlich nicht bzw. sie hatten vermutlich auch den Gedanken, aber der Job und die Konzentration darauf ging vor.

Ach ja, wir hatten ja einen Plan … Basketball, Maccabi Tel Aviv gegen Alba Berlin. Tel Aviv ist klein genug, um vom Strand bis zur Menora Mivtachim Arena mit einem längeren Spaziergang laufen zu können. Die Halle wurde Anfang der 60er Jahre gebaut und optisch ist ein bisschen der Lack ab, nicht zu vergleichen mit der super-duper-modernen Mercedes Benz Arena, aber sie atmet Geschichte und ist berühmt für die extrem enthusiastischen bis fanatischen Fans, bei denen die Stimmung allerdings selten ins Gewalttätige umschlägt. Etwa 10.500 Zuschauer fasst die Halle, etwa 10.500 Zuschauer waren gegen Alba da. Ausverkauft! Besonders erstaunlich bei den Preisen die dort aufgerufen werden. 75 Euro für eine der letzten Reihen im Oberrang … sollten wir bezahlen, dafür sieht man in Berlin die komplette BBL-Saison! Wir wurden aber dann noch irgendwie „upgegdradet“ und saßen für 60 Euro in der letzten Reihe des Unterrings, eigentlich hinter der letzten Reihe des Unterrings in einer extra aufgebauten Stuhlreihe. Etwa 30 Alba-Fans gönnten sich den Spaß.

Menora Mivtachim Arena, Heimspielstätte von Maccabi Tel Aviv

Achtung Sparfüchse! Fliegt nie, nie, nie nach Israel, macht einen riesen Bogen um das Land, das preislich eher auf dem Niveau der Schweiz liegt, wenn nicht sogar darüber. Eine ausverkaufte Halle ist aber der Normalzustand bei Maccabi Tel Aviv und galt bisher bei allen Euroleague-Spielen beim mit Abstand erfolgreichsten Sportverein Israels und einem der erfolgreichsten im europäischen Basketball. Seit 65 Jahren spielen sie in der nationalen Liga, seit 61 Jahren in internationalen Wettbewerben und haben dabei über 100 Titel gewonnen, allein sechs Mal die Euroleague. Aus dieser Historie ergibt sich ein Selbstbewusstsein, dass die Fans durchaus auch stark nach außen zeigen. Eine der Überraschungen vor dem Spiel war der DJ, der zum warm up 70er Jahre Funk und Classics á la Kool & the Gang, James Brown, Earth Wind & Fire, Gap Band usw. spielte – die meisten Fans waren in den 70ern noch nicht mal geboren.

Wenig Überraschendes hatte dagegen das Spiel selbst zu bieten. Maccabi Tel Aviv war vor dem Spiel der große Favorit, hat zu Hause in diesem Jahr noch kein Spiel verloren und in den letzten zweieinhalb Jahren gerade mal ein Dutzend und hat sich auch gegen Alba klar und verdient mit 104-78 durchgesetzt. Um das Berliner Selbstvertrauen war es nach fünf Euroleague-Niederlagen in Folge eh nicht zum Besten bestellt und das merkte man dem Team auch deutlich an. Eigentlich starteten die Gäste ganz ordentlich in die Partie und lagen kurz vor der ersten Viertelpause gleichauf, aber als dann Maccabi innerhalb von gut zwei Minuten einen 12 zu 0 run hinlegte, während sich Alba in dieser Zeit nur Ballverluste und Fehlwürfe leistete, gingen die Köpfe der Berliner nach unten. Nach gut 12 Minuten war im Prinzip „der Drops gelutscht“ und allen – inklusive der Spieler – war wohl klar, wer dieses Spiel gewinnen würde. Was blieb, war, noch 28 Minuten einem „Schlachtefest deluxe“ beizuwohnen. Nicht schick aus Sicht der Berliner Fans, aber da musste durch als Lurch wenn de Froschkönig werden willst. Maccabi spielte sich in einen Rausch, bei Alba gelang immer weniger und am Ende stand die höchste Berliner Saisonniederlage mit 26 Punkten. Die hätte auch noch höher ausfallen können, wenn Maccabi bei +36 sieben Minuten vor Schluß nicht zurückgeschaltet hätte.

Man sollte meinen, dass so ein Spiel stimmungsmäßig nicht viel hergeben würde, aber die Maccabi Fans sangen und feierten, als ob sie gerade um den Gewinn der Euroleague spielen würden, der Gegner wurde von der ersten Sekunde an ausgepfiffen. Zaghafte Versuche der Berliner Fans, mal das eigene Team anzufeuern, wurde mit Buhrufen, Gesten und Sprüchen quittiert, die durchaus nicht freundlich, aber auch nicht bedrohlich wirkten. Freundlich wurden sie dann aber schlagartig nach dem Abpfiff, da war sämtliche Konkurrenz verflogen.

Ziemlich überraschend war die Wahrnehmung zu Maccabi Tel Aviv, den wir vor und nach dem Spiel in der Stadt bekamen. So gefühlt hatte man – warum auch immer – irgendwie das Gefühl, Maccabi wäre so eine Art „Staatsverein“, der Verein aller Israelis. Dieses Bild bestätigte sich nicht. Wir wurden zwar auch von Maccabi-Fans angesprochen, aber doch sehr viel öfter von anderen, bei denen Maccabi so beliebt ist, wie ein Bayer in basketballerischer Hinsicht in Berlin. Angeblich hat Maccabi „nur“ 40.000 Fans, alle anderen sollen sie wohl nicht so sehr mögen. Sie wurden als „der israelischste Vereine ohne Israelis“ bezeichnet, als Anspielung auf die neun us-amerikanischen Profis plus zwei Israelis mit amerikanischem Background und generell zeigte sich unerwartet viel Antipathie gegen den reichen Renommierclub. Das muss natürlich nicht repräsentativ sein, aber die starke Abweichung von den eigenen Erwartungen war interessant.

Die Stadt selbst ist nicht besonders hübsch … mit recht starkem Trend zu hässlich. De facto gibt es Tel Aviv noch keine hundert Jahre und die Stadt ist ohne erkennbares städtebauliches Konzept einfach so vor sich hingewachsen. Wildwuchs aller Orten. Interessant mag für den einen oder anderen die sogenannte „weiße Stadt“ sein, eine der größten zusammenhängenden Bauhaus-Siedlungen der Welt. Allerdings ist Tel Aviv eine durch und durch moderne Stadt. Wer bei Israel an orthodoxe Juden mit den typischen Frisuren und Bekleidungen denkt, mag in Bezug auf manche Landesteile recht haben, in Bezug auf Tel Aviv eher nicht. Dort gibt es alle „Segnungen“ die das 21. Jahrhundert der Zivilisation so gebracht hat. Einschließlich dem weltweit agierenden amerikanischen Buletten-Bräter und volltrunkene junge Damen, die mit dem E-Roller bei Rot über die Ampel brettern und prompt mit einem anderen E-Roller zusammen knallen. Wer es alt mag, kommt in der arabischen Teilstadt Jaffa auf seine Kosten. Nur dort bekommt man auch typische arabische Speisen, in Tel Aviv nicht. Man kann nicht über Israel reden, ohne nicht wenigstens mal kurz den Shabbat erwähnt zu haben. Der sogenannte Ruhetag beginnt Freitagabend bei Sonnenuntergang und endet Samstagabend ebenfalls bei Sonnenuntergang. Das mit der Ruhe wird unterschiedlich strikt befolgt. Eigentlich sollten sämtliche Geschäfte während dieser Zeit geschlossen sein, viele sind es, im eher liberalen Tel Aviv aber auch einige nicht. Auf jeden Fall wird gefeiert, als gäbs keinen Morgen. Nahezu alle Israelis sind Freitagabend auf den Beinen und die Restaurants und Kneipen sind zum Bersten voll und selbst davor bilden sich große Trauben. Kein Problem bei nachts immer noch deutlich über 20 Grad. Auch zum Shabbat gehört, dass sämtlicher öffentlicher Verkehr zum Erliegen kommt. Und das wirklich ohne Ausnahme. In Berlin würde wahrscheinlich Krieg ausbrechen, wenn für 24 Stunden der ÖPNV zusammenbrechen würde, in Tel Aviv hat man sich mit der Situation arrangiert.  

Sportlich war der Ausflug für Alba Berlin unter dem Motto „außer Spesen nichts gewesen“, darüber hinaus kann man Tel Aviv für einen kürzeren Urlaub allerdings empfehlen. Man muss sich aber genügend Geld einstecken.