
Mit dem Testspiel gegen die Artland Dragons am Freitag vor heimischen Publikum in der O2-World endet die Saisonvorbereitung der Albatrosse. Es ist der letzte große Test, bevor in der nächsten Woche die erste große Hürde, die Qualifikation zur Euroleague, ansteht. Gordon Herbert (52), Albas neuer Chef-Coach, hatte gut einem Monat Zeit den neue Alba-Kader zu einer funktionierenden Mannschaft zu formen.
Die Fans jedenfalls, brennen auf das erste Heimspiel unter Wettbewerbsbedingungen. Die Jungs von „Block212“, quasi Albas Ultras, können ihre Vorfreude kaum verbergen und haben sich vorgenommen die Mannschaft, die um den neuen Superstar Dashaun Wood (26) geformt wurde, noch besser und lautstärker zu unterstützen.
Auch wenn die Alba-Fans mit dem Kader der letzten Saison, die einer Achterbahnfahrt glich, ihren Frieden geschlossen hatten, gab es in diesem Sommer trotz der knappen Finalniederlage gegen den Erzrivalen aus Bamberg. einen erneuten Umbruch: Leistungs- und Sympathieträger wie Julius Jenkins (wechselt nach Bamberg) oder Immanuel McElroy (wechselt nach Braunschweig) haben bzw. mussten den Verein verlassen. Der erwartet laute Aufschrei der Fans blieb jedoch aus, da man mit Gordon Herbert und Dashaun Wood frühzeitig zwei qualitativ hochwertige Neuzugänge präsentieren konnte.
Mit Gordon Herbert an der Seitenlinie soll bei Alba eine neue Ära eingeläutet werden, die ohne große Erwartungen in dieser Saison beginnt. Man strebt, laut Albas Geschäftsführer Marco Baldi (49), nicht nach dem kurzfristigen Erfolg und Titel werden erst in zwei Jahren wieder erwartet. Im Jahr 2013 soll Alba dann den eigenen Ansprüchen entsprechend wieder Deutscher Meister werden.
Die Verpflichtung von Gordon Herbert ist insofern auch nachzuvollziehen, da dass Budget für die neue Saison, laut Baldi reduziert wurde. Der Kanadier konnte in den vergangenen eineinhalb Jahren mit relativ bescheidenen Mitteln aus den Frankfurt Skyliners einen Titelanwärter formen. Der diplomierte Sportpsychologe kitzelte aus seinen Spielern nahezu die maximale Leistung heraus und konnte auch in der vergangenen Saison Alba in den Playoffs gewaltig ärgern.
Der entscheidende Akteur bei den zwei Playoff-Siegen in Berlin war Dashaun Wood, der mit Herbert aus Frankfurt an die Spree wechselt. Der amtierende MVP (wertvollster Spieler) der Basketball Bundesliga (BBL) soll nach Abgang von Jenkins das neue Gesicht des Vereins werden. Mit diesem hatte sich Wood in den vergangenen Playoffs ein hitziges Duell am Rande des im Basketball Erlaubten geliefert und war so in Ungnade bei den Berliner Fans geraten.
Während seine Auftritte in der O2- World von den Berliner Fans in der letzten Saison noch verflucht wurden, was ein gellendes Pfeiffkonzert bei jeder Ballberührung des Aufbauspielers zur Folge hatte, war seine spielerische Klasse zu keinem Zeitpunkt bestreitbar. Nun soll der ehemalige Erzfeind das Spiel von Alba Berlin lenken, dem Team seinen Stempel aufdrücken und die Fans auf seine Seite ziehen und letztendlich begeistern. Auf wie Abseits des Parketts erfüllt Wood alle Eigenschaften eines „Franchiseplayers“ . Die folgenden zwei Jahren werden es zeigen, ob Wood den hohen Ansprüchen gerecht werden kann. Eins ist jedoch jetzt schon klar: Anders als die ehemaligen, eher leisen, Stars Jenkins (30) oder McElroy (31) ist Wood ein Spieler der kein Blatt vor dem Mund nimmt.
Ähnliche Qualitäten abseits des Spielfelds hat der nach Berlin zurückgekehrte Heiko Schaffartzik, dessen Verpflichtung letzte Saison teilweise noch kritisch beäugt wurde. Doch Schaffartziks Verpflichtung erwies sich schnell als Glücksfall und die Kritiker verstummten. Der smarte Pointguard bringt Firepower, Defense und Emotionen von der Bank.
Der zweite Neuzugang neben Wood ist Kyle Weaver. Die Erwartungen an den NBA-Borderliner sind groß, schließlich muss er die großen Fußstapfen von Julius Jenkins als Shootingguard ausfüllen. Doch das dürfte schwierig werden! Kyle Weaver ist im Gegensatz zu Jenkins nicht als Scorer oder Go-To-Guy bekannt. Der US-Amerikaner, der in Europa Erfahrungen bei Charleroi sammelte ist eher dafür bekannt ein Allrounder zu sein. Auf „nbadraft.net“ wird er von der Spielweise mit Ex-Albatross Immanuel McElroy verglichen, demnach ist er also ein Spieler der viele verschiedene Qualitäten hat, von denen allerdings keine als hervorragend bezeichnet werden kann. Als Alba-Fan fühlt man sich ggf. an Derrick Byars erinnert, der im gelben Alba-Dress leider nur ansatzweise sein Potenzial andeuten konnte. Kyle Weaver dürfte qualitativ der bessere Spieler sein, bei dem man trotzdem die Erwartungen herunterschrauben sollte.
Auf zumindest einen Publikumsliebling der vergangenen Saison darf sich der Alba-Fan allerdings freuen: Mit Bryce Taylor konnte Alba Berlin Einigkeit erzielen und man erhofft sich eine weitere Leistungssteigerung des sympathischen Aufbauspielers, der erst gegen Ende der Saison die Wertschätzung des Coaches in Form von Spielzeit erhielt. Er dankte es mit teilweise spektakulären Dunkings in der vergangenen Saison zurück, auch wenn diese nicht darüber hinwegtäuschen konnten, dass der Guard auch gerne mal sehr schwache Spiele hatte. Mehr Konstanz, insbesondere beim Distanzwurf, wäre wünschenswert.
Als erfreulich darf auch die Vertragsverlängerung mit Joey Ney betrachtet werden. Endlich steht wieder ein Nachwuchsspieler aus den eigenen Reihen im Team. Ausgestattet mit einem Vier-Jahresvertrag kann sich der Shooting Guard in aller Ruhe unter der Leitung von Gordon Herbert entwickeln. Dies setzt nun auch Lucca Staiger zusätzlich unter Druck. Beim Scharfschützen muss diese Saison endlich der Knoten platzen, denn sein Vertrag läuft zum Saisonende aus und bei den bisher limitierten Spielzeiten, die aus den geringen Defensivqualitäten resultieren, riecht es nicht nach einem verlängerten Engagement bei Alba Berlin. Da diese Saison der Konkurrenzdruck auf der Position 2 und 3 nicht so groß ist wie in vergangenen Jahren, muss Staiger die Chance ergreifen. da andererseits bald sogar Ney an ihm vorbeiziehen könnte, der den Vorteil hat, die komplette Vorbereitung, im Gegensatz zu Nationalspieler Staiger, absolviert zu haben.
Als Tweener auf den Forward Positionen wurde Marko Simonovic verpflichtet. Es ist sein zweiter Anlauf im Ausland, nachdem sein erster Versuch in Oostende wenig erfolgreich war. Simonovic gilt wie Weaver als Allrounder, der, laut Gordon Herbert, die „vielen kleinen Dinge tut, um dem Team zu helfen“. Höchstwahrscheinlich wird er hauptsächlich als Powerforward aushelfen müssen, da die anderen beiden Spieler auf dieser Position, Derrick Allen und Sven Schultze, nicht mehr konstant auf einem allzu hohen Niveau agieren werden.
Auf der Centerposition, wird sich nun Torin Francis in die Schlacht stürzen. Anders als der technisch versierte Miro Raduljica, steht Torin für harte Arbeit an den Brettern und Rebounds. Zusammen mit Yassin Idbihi, der sich letzte Saison großartig entwickelt hat, wird der Amerikaner wohl in der Defensive den Gegnern das Leben sehr schwer machen. Ob er aber auch in der Offensive einen Raduljica ersetzten kann, bleibt fraglich.
Fazit: Das Team ist eine echte Wundertüte. Trotzt zahlreicher Testspiele, kann man das Potenzial der Mannschaft nur schwer einschätzen. Dazu waren die meisten Gegner in der Vorbereitung einfach nicht gut genug und außerdem fehlten mit den Nationalspielern, insbesondere Schaffartzik, wichtige Stützen des Teams. Mit Quackenbrück kommt nun der erste richtige nationale Gradmesser. Trotzdem werden die Nationalspieler noch eine Weile brauchen um sich komplett in das Gefüge einzufügen. Vor allen Dingen in der Defense sind gute Leistungen zu erwarten. Die Offensive wird natürlich stark von DaShaun Wood geprägt sein, dem allerdings ein zweiter konstanter Scorer an seiner Seite fehlt, was aber nicht unbedingt ein Schwachpunkt sein muss, da es das Team in der Offensive unberechenbar macht. In den Testspielen brillierten oft unterschiedliche Spieler und es bleibt fraglich, ob ein schlechter Tag von Bryce Taylor oder Kyle Weaver vom Team kompensiert werden kann.
Aus Sicht der Fans wäre es wünschenswert, wenn Spieler und Fans wieder näher zusammenrückten. Durch die Identifikation mit den Spielern können auch die Fans die eine oder andere Niederlage, beispielsweise gegen Erzfeind Bamberg verschmerzen.
Das Team ist mit einem Durchschnittsalter von 26 Jahre relativ jung und vor allen Dingen entwicklungsfähig. Bei Bedarf könnte Alba Berlin sogar noch nachrüsten, da ein Spot für Ausländer noch unbesetzt ist. Eins ist jedoch sicher, es wird so oder so bestimmt erneut eine aufregende Saison!