Moritz Wagner am Ent-Scheideweg!

Ein sehr persönliches Interview mit Moritz Wagner (18) über die Zerrissenheit, in jungen Jahren richtungsweisende Entscheidungen für den weiteren Lebensweg treffen zu müssen …

21_Moritz_Wagner Blickt man ein Jahr zurück, hätten selbst eingefleischte Basketball-Fans wenig mit dem Namen Wagner anfangen können und der gemeine Berliner hätte gefragt: „Wagner? Is ditt nich der mit den Opern und is der nich längst tot?“. Der mit den Opern ist Richard, in einem Basketball-Forum soll es jedoch um Moritz Wagner, Jahrgang 97, gehen und der ist quicklebendig. Moritz Wagner hat innerhalb eines Jahres eine rasante Entwicklung genommen, war Leistungsträger bei Albas NBBL- und Regionalligateam und hatte ein paar erfrischende Einsätze bei den Profis in der BBL und Euroleauge. Nun hat er von einer renommierten Universität in Sachen Basketball, der University of Michigan (Wolverines), ein Stipendium erhalten und dieses angenommen und steht somit vor einem neuen Lebensabschnitt. Die University of Michigan hat diverse NBA stars wie Chris Webber, Juan Howard, Glen Rice, Jamal Crawford oder Jalen Rose hervor gebracht. Obwohl Moritz Wagner vor gut einem Jahr deutscher U19 Meister, aka NBBL champion, geworden war, flog er bis dahin ein wenig unter dem Radar von Basketball-Fans und -Fachleuten, obwohl er mit 205 Zentimetern eigentlich schwer zu übersehen ist. Über die Gründe dafür, warum er lange nicht so im Fokus stand und noch vieles mehr sprachen wir vor Saisonbeginn beim Vorbereitungsturnier in Zgorczelec (Wagner auf dem Weg – Moritz im Interview); nach dem Ende seiner Saison mit dem NBBL-Halbfinale Mitte Mai in Hagen und dem Abschluss eines Zyklus‘ ergab sich vor dem ersten Halbfinalspiel der Alba-Profis gegen Bayern München Basketball die Möglichkeit, erneut mit Moritz über seine Entwicklung innerhalb dieser Saison und den Beginn eines neuen Lebensabschnitts zu reden.

Am vergangenen Samstag sollte im NBBL-Halbfinale dein vorletztes Spiel für Alba Berlin sein. Durch die Niederlage gegen den Nachwuchs von Bayern München, war es dann doch das letzte Spiel und der Abschluss einer Lebens- und Karrierephase. Welche Gedanken kommen in so einem Moment hoch?

Das war strange! Das erste Gefühl war erst mal, nach meinen Eltern und team mates zu gucken, wie es denen so geht. Dann kam mein Coach zu mir und meinte: „Es war eine schöne Reise mit dir“ oder so ähnlich, ganz genau kriege ich es nicht mehr zusammen. Da habe ich dann begriffen, dass es jetzt wirklich vorbei ist. Dann habe ich mir schnell mein shooting shirt über den Kopf gezogen, weil mir das alles doch ziemlich nah ging und bin aus der Halle geflüchtet und habe meinen Emotionen freien Lauf gelassen. Es war für mich echt nicht leicht, dieses „für Alba spielen“ und noch nie für einen anderen Club gespielt zu haben, ist etwas Besonderes für mich, keine Floskel. Es war eine sehr schöne lange Reise, die leider auf eine sehr dumpfe Art und Weise im letzten Spiel zu Ende gegangen ist. Das macht mich schon etwas traurig. Durch das Ende eines Abschnitts und dass nun weitere Schritte folgen, merkt man andererseits auch, dass man langsam erwachsen wird.

Hat es eine besondere Rolle gespielt, dass es ausgerechnet gegen Bayern München war?

Definitiv! Als reiner Fan war ich schon immer ein großer Bayern-“Freund“ in Anführungsstrichen, als Spieler ist das etwas anders. Ich habe deren Druck ein wenig unterschätzt, da habe ich mich soft auf dem Feld gefühlt. Die waren schon sehr, sehr stark und sind nicht zufällig Deutscher Meister geworden. Da habe ich großen Respekt vor den Spielern und Coaches, was die geleistet haben. Die haben hart verteidigt und sehr gut gespielt, sie sind verdient Deutscher Meister geworden, denen muss man Respekt zollen.

Abteilung Jugend forscht (v.r.n.l.): Akeem Vargas, Ismet Akpinar, Kevin Wohlrath und Moritz Wagner
Abteilung Jugend forscht (v.r.n.l.): Akeem Vargas, Ismet Akpinar, Kevin Wohlrath und Moritz Wagner

Jetzt beginnt für dich ein neuer Lebensabschnitt, du gehst ans College. Wir hatten vor der Saison miteinander gesprochen, da war das Thema noch komplett offen für dich. Wann hat sich das für dich heraus kristallisiert? War das eher ein Punkt, ein bestimmtes Ereignis, welches zu dieser Entscheidung geführt hat oder war das eher ein Prozess, hast du dich auf diese Entscheidung fürs College hin entwickelt?

Das war schon ein Prozess. Und ich muss ganz klar sagen, dass ich mich nicht für „College“ entschieden habe, sondern genau für diese Universität, auf die ich nun gehen werde. Es stand nie die Frage europäische Basketball-Entwicklung bei Alba oder College allgemein und dann suche ich mir irgend ein College raus. Es musste schon passen, es war eine sehr konkrete Entscheidung für genau dieses College. Ich habe mich dann auch ein bisschen in diese Universität „verliebt“, hatte aber natürlich auch meine Zweifel. Irgendwann war ich dann an einem Punkt angelangt, wo ich mir dieses ständige Zweifeln nicht mehr geben wollte. Es fühlte sich einfach nicht mehr gut an, dieses Hin und Her, ständig die Pros und Cons abzuwägen. Da habe ich mir ein Herz genommen und als ich die Entscheidung dann endlich getroffen hatte, hat es sich auch gut angefühlt. Der Prozess hat sich bestimmt über zwei Monate hingezogen.

Ob es die richtige Entscheidung war, weiß man wahrscheinlich erst in ein paar Jahren …

… eben. Etwas falsch machen werde ich sowieso und etwas richtig machen hoffentlich auch. Es war einfach irgendwann an der Zeit, etwas zu sagen, eine Entscheidung zu treffen.

Hattest du dir noch andere Colleges außer Michigan angesehen?

Nein. Ich bin ein Mal mit meinen Eltern dort hing geflogen und habe mir das vor Ort angesehen. Das hat einfach perfekt gepasst. Das Spielsystem kommt mir entgegen, ist sehr europäisch ausgerichtet. Es gab auch noch andere Anfragen von anderen Colleges, aber bei denen ist es nicht so konkret geworden, auch weil ich eben von Michigan sehr überzeugt bin.

Coach Beilein [head coach der Michigan University] war ja auch mal der Coach von Jo Herber, hast du mit Jo mal über ihn und seine Ansichten vom Basketball gesprochen?

Das ist ganz witzig, ich habe am Anfang der Saison, während der EM, das Buch von Jo Herber gelesen und da beschreibt er ja sehr detailliert, wie der Coach so ist und wie er sich gegenüber seinen Spielern verhält. Das hat mir sehr gut gefallen, da hab‘ ich mir gesagt, ich schreibe auch mal ein Buch [lacht]. Dass es dann so gekommen ist, dass er [coach Beilein] mich angerufen hat, das war schon groß für mich. Ich schaue viel College-Basketball und NBA und ich kannte die Persönlichkeit, den Coach natürlich und dass der mit mir sprechen wollte bzw. ich direkt mit ihm gesprochen habe, das war etwas Besonderes. Natürlich habe ich auch mit Jo gesprochen, denn mir ist es wichtig zu wissen, was für eine Persönlichkeit dahinter steht, nicht nur, was für ein großartiger Coach das ist. Wenn ich da nichts spüre, dann hat es für mich wenig Zweck. Deshalb habe ich mich schon ausführlich mit Jo darüber unterhalten, wie der Coach einige Sachen handhabt und Jo hat mir das auch sehr sachlich und hilfreich erklärt.

Du meintest ja vorhin, du hättest lange Zeit die Pros und Cons abgewogen. Inwieweit hast du dir da noch Ratschläge von anderen Collegespielern als Jo Herber geholt? Hast du viel mit Niels Giffey darüber geredet? Oder hast du dir gesagt, dass du möglichst unbeeinflusst zu deiner eigenen Meinung kommen musst?

Man spricht ganz unfreiwillig bzw. automatisch mit allen möglichen Leuten. So etwas kann man nicht planen. Ich bin eh relativ kommunikativ, nicht schüchtern und spreche gern und viel mit allen möglichen Leuten. Irgendwann hat es sich herum gesprochen, dass ich College als eine mögliche Option in Erwägung ziehe und dann haben mich natürlich jede Menge Leute darauf hin angesprochen. Natürlich habe ich sehr viel mit Niels geredet. Zum einen, weil ich sehr gut mit ihm kann, zum anderen, weil wir ja teilweise in einer ähnlichen Situation waren. Wir kommen aus dem gleichen Stadtbezirk, ich habe seine Entwicklung auf UConn [University of Conneticut] sehr intensiv verfolgt und es lag einfach nahe, ihn um Rat zu fragen. Niels meinte, dass er froh ist, diese Entscheidung hinter sich zu haben und nicht so wie ich jetzt eine treffen zu müssen. Ich habe auch mit Akeem [Vargas] gesprochen, den Amis aus dem Team, Reggie [Redding] und Jamel [McLean], selbst Brad Wannamaker hat mich beim Allstar Day angesprochen. Es ist ein schönes Gefühl, wenn Leute auf einen zukommen und helfen wollen, es fühlt sich an, als ob sich jemand um dich kümmert. Dafür bin ich sehr dankbar.

Am Ende musstest du natürlich selbst die Entscheidung treffen. Welche Rolle spielte der schulische Part bei der Entscheidung und in welche Studienrichtung möchtest du mal gehen?

Das mit dem Studieren ist ja ein bisschen anders als hier, dort muss man sich ja erst gegen Ende des Studiums so richtig auf Fächer festlegen, in denen man abschließen möchte. Dementsprechend habe ich da noch keine ganz klare Vorstellung. Es sollte schon eher in Richtung Sportmanagement oder Kommunikation gehen, das interessiert mich. Der schulische Part war schon ziemlich wichtig für mich. Ich war schon immer jemand, der sich auch in der Schule auf deutsch gesagt „den Arsch aufgerissen“ hat, obwohl das parallel zum Leistungssport nicht leicht war. Meine Eltern waren da auch immer ziemlich hinterher, aber selbst wollte ich auch sehr, sehr gern Studieren. Deshalb war die Möglichkeit, neben dem Sport auch studieren zu können ein schwerwiegendes Argument für die Uni.

Ist „Abnabelung“, mal raus in die Welt, auf eigenen Beinen stehen, eigene falsche und richtige Entscheidungen treffen auch ein Teil des Themas gewesen?

Das war sogar ein Hauptgrund. Abnabelung ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, eher mal raus zu Hause, auf eigenen Beinen stehen, selbst laufen lernen. Prenzlauer Berg. Ich leben jetzt seit 18 Jahren im Prenzlauer Berg. Nächstes Jahr bei Alba zu spielen, wäre groß gewesen, aber ich habe mich auch selbst gefragt: ‚Willst du das, was du dein ganzes Sportlerleben machst, jetzt schon mit 18 Jahren machen?‘ Das läuft mir ja nicht unbedingt weg. Die Erfahrungen, die ich am College machen kann, sind genauso groß. Und ich bin dankbar für die Chance, das erleben und ausprobieren zu dürfen. Ich würde mich ja selbst als kleines „Muttersöhnchen“ bezeichnen und verspüre noch nicht den Druck, unbedingt zu Hause raus zu wollen oder gar zu müssen, aber ich glaube in zwei Jahren oder noch früher, werde ich die Entscheidung als absolut richtig ansehen.

Im zweiten Teil geht es um das System College, Vor- und Nachteile der parallelen Ausbildung Studium und Sport, aber auch speziell die University of Michigan, Erwartungen und Wünsche gehen. Stay tuned!

Hier noch die highlights von Wagners allererstem Saisonspiel:

Ein Gedanke zu „Moritz Wagner am Ent-Scheideweg!“

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