Me and my Kiez – mit Bar Timor auf Touri-Tour, pt II

Im ersten Teil (hier klicken) hatten wir Bar Timor zu Hause besucht und sind mit ihm zum Brandenburger Tor gefahren, wir haben viel über den Basketballer Bar Timor erfahren. Im zweiten Teil besuchen wir das Holocaust-Mahnmal, den Tiergarten und den Potsdamer Platz und wollen mehr über den jungen Menschen, zum ersten Mal allein im Ausland, den Familienmenschen erstmals getrennt von seiner Familie, in Erfahrung bringen.

 Holocaust-Mahnmal

Am Holocaust_Memorial
Am Holocaust_Memorial

Inzwischen sind wir am „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ – so die offizielle Bezeichnung – angekommen. Nicht zufällig sondern bewusst und überlegt. Überlegt hatten wir länger im Vorfeld, ob man den heiteren Tag und die gute Stimmung damit beschweren soll. Ist das nötig, fast 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs und drei Generationen später? Nein, jeder weiß alles zum Thema Holocaust, Shoah, Völkermord und systematische Judenvernichtung; es geht nicht um Wissen. Ist es legitim oder gar angebracht, darüber zu reden? Auch wenn es ein ganz schwarzes Kapitel ist, so ist es doch Teil der gemeinsamen Geschichte Israels und Deutschlands. Das Thema einfach auszusparen oder gar zu ignorieren würde seiner Bedeutung nicht gerecht. Es geht um Wahrnehmung. Das Holocaust-Mahnmal ist abstrakt genug, um Raum zu bieten für die freie Entfaltung der eigenen Gedanken und diese sind sehr persönlich und individuell. „Hier, beim Holocaust-Mahnmal, zu sein, bewegt mich. Es ist Teil unserer Geschichte und von 10 Jahren an wird den Kindern sehr viel darüber berichtet und erklärt. Zum Ende der High School unternahm unsere Klasse eine 10-Tages-Fahrt nach Polen, nach Birkenau [Auschwitz] ins Konzentrationslager und zu vielen anderen Orten, die für den dunkelsten Teil unserer Vergangenheit stehen. Diese Fahrt war eine sehr, sehr emotionale Erfahrung für mich, die ich noch nie zuvor gehabt hatte. Auf diesen Fahrten wird meist versucht zu organisieren, dass Überlebende des Holocaust die Klassen begleiten. Meine Klasse haben ein Mann und eine Frau begleitet. Diese beiden haben uns ihre Geschichte und ihre Erfahrungen erzählt. Das ist eine gute Vorbereitung für das eigene Leben. Wenn man mal selbst schecht drauf ist oder sich beschwert, daß man erschöpft oder müde ist, hilft es, an diese beiden Holocaust-Überlebenden zu denken und wie bedeutungslos die eigenen Beschwerden im Verhältnis zu ihrem Schicksal sind. Das kann dein eigenes Verhalten ändern. Viele dieser Überlebenden sind heute arm und müssen ohne Familie leben und werden meiner Meinung nach von der Regierung nicht ausreichend unterstützt. Sie sind gewissermaßen die Gründer und erste Generation des Staates Israel und sollten so gut behandelt werden, wie es geht, es sollte ihnen an nichts fehlen.“ Bar möchte wissen, wie viel man in Deutschland über den Holocaust weiß und wir erklären ihm, dass das Thema in der Schule sehr intensiv behandelt wird und von den Medien auch und eigentlich fast Jeder sehr gut darüber Bescheid weiß. In Israel, so Bar Timor, wird das Thema in den Schulen ebenfalls sehr intensiv behandelt. Er hält es für sehr wichtig, junge Menschen mit den Überlebenden des Holocaust zusammen zu bringen. Es ist etwas ganz anderes, davon in Büchern zu lesen, als es von jemandem erzählt zu bekommen, der dabei war. Er ist für diese Erfahrung dankbar; seine Kinder werden nicht mehr mit einem Überlebenden sprechen können. Wir merken an diesem symbolträchtigen Ort, dass – obwohl es ein gemeinsamer Teil der deutsch-israelischen Geschichte ist – sich die Wahrnehmung deutlich unterscheidet. Wir wissen viel darüber, wir sind uns auch der Verantwortung bewusst, verantwortungsbewusst, aber die Wahrnehmung ist eher rational, in der dritten Generation nach Ende des zweiten Weltkriegs. Für die dritte israelische Generation ist es viel mehr eine Frage des Fühlens, die Wahrnehmung ist viel emotionaler.

Zeit, sich wieder anderen Themen zuzuwenden, die sich bei dem schönen Wetter besser bei einem Spaziergang durch den direkt gegenüber liegenden Tiergarten besprechen lassen.

 Tiergarten

Entspannung im Tiergarten
Entspannung im Tiergarten

Durchatmen. Wir erfahren, dass Bar momentan noch allein in Berlin lebt, seine Freundin wird ihn aber in ein, zwei Wochen besuchen. Ist er das erste Mal so weit und so lange von zu Hause weg? „So weit und so lange, ja, aber nicht zum ersten Mal. Ich stamme aus Haifa, etwas im Norden von Israel, habe aber in den letzten beiden Jahren in Tel Aviv gespielt und gelebt. Aber das kann man natürlich nicht mit Berlin vergleichen, das ist eine Stunde Fahrzeit. Entweder meine Familie hat mich regelmäßig besucht oder ich sie, das kann man bei dieser Entfernung gut machen. Ich bin jetzt seit drei Wochen in Berlin und ich denke, so lange war ich noch alleine. Aber Ende des Monats, wenn wir vom Turnier in der Türkei zurück kommen, wird mich meine Familie in Berlin besuchen.“ Bar ist das jüngste von drei Geschwistern und hat noch zwei ältere Schwestern. Seine Eltern haben trotz der großen Entfernung seine Entscheidung, ins Ausland, nach Berlin, zu gehen, voll unterstützt. „Wir haben sehr viel darüber gesprochen, ich habe sie vom ersten Moment an, wo sich die Option, nach Berlin zu wechseln auftat, mit einbezogen und sie stehen voll hinter mir und meiner Entscheidung. Während meiner Vorbereitung auf die Saison hatte mein Vater eine Operation, aber er hat immer zu mir gesagt, ich solle nicht meine Vorbereitung unterbrechen, das sei so wichtig für mich. Auf der einen Seite ist es natürlich schwer für meine Mutter und meinen Vater, dass ich nun aus Israel weg bin und auch noch so weit, auf der anderen Seite sagen sie, dass das ein guter und großer Schritt vorwärts für mich und meine Karriere als Basketballer ist. Sie unterstützen mich dadurch, dass wir viel miteinander reden und sie mir Mut machen, wenn ich mal eine schlechte Phase habe. Meine Eltern haben mir und meinen Schwestern auch eine unbeschwerte Kindheit ermöglicht. Mein Vater besitzt eine Firma in Israel, meine Mutter arbeitet im Moment nicht. Meine ältere Schwester ist vor kurzem Mutter geworden und meine Mutter hilft ihr im Moment ein wenig, aber davor war sie Managerin eines Einkaufscenters. Meine Schwestern studieren beide an der Universität … tja, und ich, ich konzentriere mich voll auf Basketball. Ab jetzt in Berlin.“

 Berlin, Tel Aviv – zwei Kulturen, zwei Welten

Der Umzug nach Berlin ist für Bar Timor nicht nur der erste Umzug weiter weg von zu Hause sondern auch der Umzug in eine andere Kultur. Von einem Land, das irgendwie zu Europa gehört und irgendwie auch nicht, das seit 65 Jahren in Kriege verwickelt ist bzw. permanent von Krieg und Terrorismus bedroht ist, in die Mitte Europas, in eine Stadt zehn Mal so groß wie Tel Aviv. Unterschiede gibt es da schon einige. „Die Stimmung in Berlin ist viel entspannter, die Leute sind alle gut drauf, alles ist viel relaxter hier, die Leute lassen sich Zeit und nehmen sich Zeit. In Israel ist alles hektischer und angespannter, alle sind in Eile. Wenn man in Israel in ein Restaurant gehen will und man muss anstehen, weil es voll ist, sind alle ärgerlich und drängeln; die Berliner nehmen es lockerer und warten, es ist so wie es ist … Einen wirklich großen Unterschied gibt es beim Auto fahren! Ihr wollt wirklich nicht in Israel Auto fahren, glaubt mir, Chaos pur! In den ersten Tagen bin ich auch fluchend und drängelnd durch Berlin gefahren ‚Hey, hau ab … mach dich aus meiner Spur … ‚ … so fahren wir in Israel nun mal … und jetzt fahre ich ganz entspannt durch Berlin. Die Deutschen sind disziplinierter, warten geduldig in der Schlange, wenn es eine gibt und wenn sie sagen, sie kommen um 10 Uhr, dann kommen sie um 10 Uhr, die Israelis meist nicht vor halb Elf. Ja, ein paar Unterschiede gibt es schon, irgendwo anstehen, Auto fahren, in der Bahn usw. … Israel verändert sich etwas in diese Richtung, vielleicht wird es irgendwann mal so sein wie hier.“ Israel befindet sich momentan zwar nicht direkt im Krieg, ist aber nichtsdestotrotz latent von Terrorismus bedroht. Wesentlich anders war die Situation in den letzten 65 Jahren eigentlich nie. Wie lebt es sich mit diesem Umstand und der permanenten Gefahr in Israel? Wie nimmt man das wahr, wenn man dort tagein tagaus lebt? „Die Situation ist natürlich kompliziert, aber eigentlich nimmt man das nicht wirklich wahr, man gewöhnt sich wahrscheinlich mit der Zeit daran, versucht sein alltägliches Leben zu leben und das Beste daraus zu machen, obwohl die Gefahr natürlich immer unterschwellig besteht. Es ist auch ein Unterschied, ob man in Tel Aviv lebt, wo wirklich selten etwas passiert oder in einem der Dörfer im Süden, die in den letzten zehn Jahren alle paar Monate immer wieder bombardiert wurden. Ich war schon in vielen Teilen Israels, aber noch nie dort. Ich kann mit den Menschen dort, die alle paar Monate oder Wochen bombardiert werden, mitfühlen, aber ich selbst fühle mich nicht bedroht oder in Gefahr.“

Den Wehrdienst, den jeder (männliche) Israeli drei Jahre lang (Frauen zwei Jahre) absolvieren muss, hat Bar Timor bereits hinter sich und hat dabei von seinem Status als Spitzensportler profitiert, wurde meist für das Training freigestellt. Trotzdem hat ihm die Zeit bei der Air Force auch etwas gebracht. „Auch wenn ich oft für das Training frei gestellt war, so musste ich doch wie jeder andere zu Beginn der Zeit bei der Air Force ein dreiwöchiges Basis-Camp mitmachen, wo man ein paar grundsätzliche Dinge lernt. Nach diesen drei Wochen war ich dann für Basketball freigestellt und musste mich ein bis zwei mal pro Woche für ein paar Stunden bei meiner Einheit melden. Sie helfen dir aber sehr, damit dein Basketball-Training nicht beeinträchtigt wird. Ich war zwar in der Armee, konnte mich aber voll auf Basketball konzentrieren. Die drei Wochen im Camp haben für mich aber einige neue Erfahrungen mit sich gebracht, Dinge, die ich nicht gewöhnt war und vorher noch nie gemacht hatte. Man schläft in einem Raum mit 20 Leuten, die man überhaupt nicht kennt, alles ist neu dort und man muss sich zurecht finden, man findet dort neue Freunde, man lernt dort solche Dinge, wie zu schießen und so. Man lernt, daß man nicht reden darf, wenn der Vorgesetzte es nicht erlaubt, man lernt Gehorsam … aber nach den drei Wochen vergisst man das meiste davon nach ein paar Wochen recht schnell wieder. Aber immerhin habe ich dort zwei gute Freunde gefunden, mit denen ich heute, drei Jahre später, immer noch befreundet bin.“

In der Zwischenzeit sind wir am Potsdamer Platz angekommen und zeigen Bar Timor die sog. „Neue Mitte“ Berlins.

 Potsdamer Platz – Berlins „Neue Mitte“

Potsdamer_Platz - Berlins neue Mitte
Potsdamer_Platz – Berlins neue Mitte

Bar Timor spricht noch kein Deutsch. Noch nicht. Aber er hat vor, es so schnell wie möglich zu lernen. Momentan ist noch keine Zeit dafür, aber er wird sich einen Lehrer nehmen und seine Mitspieler können ihm auch dabei helfen. Im Moment sprechen sie aber noch englisch mit ihm. Es ist ihm wichtig gut deutsch sprechen zu können, um sich besser in der Stadt zurecht finden zu können. Aktuell fehlen ihm die Sprachkenntnisse, wenn er sich gesund und abwechslungsreich ernähren will und eben gerade nicht nur auf die üblichen point-at-what-you-want-fastfood-Restaurants zurück greifen will. „Wenn ich außerhalb essen gehe, versuche ich in Restaurants zu gehen, wo das Menü auf englisch ist. Ansonsten versuche ich mit Leuten aus dem Team essen zu gehen, die mir erklären können was auf der Karte steht. Ich bestelle nicht Dinge, wo ich nicht weiß was ich bekomme. Ich bin überrascht, wie viele italienische Restaurants es hier in Berlin gibt.“ Wir erklären ihm, dass man nur sehr selten Italiener in der Küche italienischer Restaurants trifft, aber versagen bei der Organisation von Essen recht kläglich. Eigentlich wollten wir Bar etwas anbieten, was typisch für Berlin steht, eine Currywurst oder den in Berlin erfundenen Döner Kebab, aber auf der gesamten Strecke, während der gesamten Zeit gelingt es uns nicht, auch nur eine einzige Currywurst- oder Döner-Bude zu finden. Letztlich bieten wir ihm einen Pfannkuchen, andernorts als „Berliner“ bezeichnet, an. Immerhin, besser als nichts. Und wir können ihm immerhin den Tipp geben, dass sich das Currywurst-Museum ganz in der Nähe des Alba-Trainingszentrums in der Schützenstraße befindet.

Vom Berliner Nachtleben weiß Bar Timor noch wenig, es gab schlicht bisher wenig Möglichkeiten, etwas kennenzulernen. Aber er kennt inzwischen einige Israelis in Berlin, die sehr hilfsbereit sind und sich mit ihm treffen und ihm gute Restaurants und Clubs – ein Bekannter ist DJ – zeigen wollen, aber momentan hat er keine Zeit dafür. Die Zukunft wird zeigen, wie viel Zeit für solche Sachen bleiben wird, aber bei Interesse kennt er genug Leute – z.B. seine jungen Berliner Teamkollegen -, die ihm die richtigen Orte zeigen könnten. Wir zeigen ihm schon mal das Multiplex-Kino am Potsdamer Platz mit einem großen Angebot an englischsprachigen Filmen.

Dann kommen wir doch noch mal zum Thema Basketball zurück und möchten etwas über Bars Schwächen und Stärken wissen. „Ich glaube, wo ich mich am meisten verbessern muss, ist mein Mitteldistanz-Wurf. Aber auch meine Defensive. Eine Sache, auf die ich mich sehr fokussiere, ist meine linke Hand. Mauro [Assistenztrainer Maurizio Parra] redet mit mir immer darüber. Ich versuche mich sehr auf diese drei Dinge zu fokussieren. Es gibt aber natürlich viele andere kleine Dinge an denen man arbeiten kann, dass versuche ich natürlich auch. Sasa mag es immer mehr als eine Lösung zu haben, also versucht er mir zu zeigen welche Wege es gibt. Ich glaube in den letzten drei Jahren habe ich mein Wurf verbessert.“

Walk of fame, Berlin edition
Walk of fame, Berlin edition

Wir schlendern noch über den winzigen „walk of fame“ am Potsdamer Platz und reden ein wenig über das bevorstehende erste öffentliche Testspiel am kommenden Tag gegen AZS Koszalin. Bar ist nicht nervös, aber ein wenig positiv angespannt. Das Spiel hat eine größere Bedeutung als die bisherigen Testspiele, da es vor den eigenen Fans stattfindet. Ich bin gespannt darauf, unsere Fans kennenzulernen. Bei meinem letzten Team in Israel waren die Fans sehr „verrückt“ in positivem Sinne und ich freue mich darauf, zu sehen, wie die Alba Fans so sind. So fanatisch wie in Griechenland oder Israel sind sie nicht, erklären wir ihm.

So langsam wird es Zeit, sich wieder auf den Rückweg zu machen. Am Bahnhof „Potsdamer Platz“ noch schnell besagten Pfannkuchen gekauft und dann geht es in Richtung S-Bahn. Wir haben in den letzten zwei Stunden viel über Bar Timor erfahren und danken ihm für seine Geduld und Offenheit. Wir konnten ihm unsererseits ein kleines bisschen von Berlin zeigen. Wirklich nur ein winziges, touristisches Stückchen von Berlin, aber er hat nun ja drei Jahre Zeit, die vielen interessanten Ecken zu erkunden, die Berlin wirklich ausmachen …

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