
Man muss schon ein wenig älter sein, um sich noch an „Malcolm in the middle“ (Malcolm mittendrin) zu erinnern, eine beliebte amerikanische TV-Serie, die sich um einen hochbegabten Jugendlichen mit IQ 165 dreht. Ob Malcolm, Nachname Miller, der vor wenigen Tagen bei Alba Berlin für die kommenden zwei Jahre angeheuert hat, ebenfalls hochbegabt ist, ist nicht überliefert, zumindest eine überdurchschnittliche Begabung im Umgang mit dem orangen Leder sollte man aber unterstellen können. Zudem hat er am College einen Abschluss in Philosophie erworben, was bekanntlich nur den Besten gelingt (*hust* insider). Diese Verpflichtung ist unter mehreren Gesichtspunkten interessant, wirft in mehrerer Hinsicht aber auch einige Fragen auf, mit denen wir uns beschäftigen möchten.
Miller, ein Allerweltsname, hinter dem sich aber kein gewöhnlicher Basketballer verbergen muss. gilt als sog. borderline NBA-Spieler aus dem Dunstkreis der Boston Celtics, der den Sprung in die beste Basketball-Liga der Welt noch nicht geschafft hat. Im europäischen Basketball hat er noch keine Erfahrung.
Der vor wenigen Wochen 23 Jahre alt gewordene Malcolm Miller ging den typischen Weg, den so viele Jugendliche im Basketball gehen. Geboren wurde er in Laytonsville, einem winzigen 350-Seelen-Örtchen in einem der kleinsten Bundesstaaten der USA, Maryland. Also im Norden der USA, an der Ostküste. Fun Fact: Die nächstgrößere Stadt – nun ja, Städtchen in Berliner Dimensionen gedacht – ist ausgerechnet Germantown. Ob er deshalb in der Schule deutsch gelernt hat und nun in die deutsche Hauptstadt kommt? Die nächstgelegene Stadt, die auch der Berliner als Stadt bezeichnen würde, ist Baltimore, gut 30 Meilen entfernt. Miller ist wohl behütet und gut bürgerlich aufgewachsen, nichts mit Ghettos und Gangs, keine dieser Stories á la mit Basketball aus den Slums, vom Tellerwäscher zum Millionär. Stattdessen die für den Nordosten typischen Holzhäuser, Terrasse vor dem Haus, gut gepflegte Vorgärten mit akkurat getrimmtem Rasen. Mit weniger als 7 % Afroamerikanern in seiner Heimatstadt gehört Miller dann aber doch in gewisser Weise zu einer Minderheit.
Die High School besuchte er im nahe gelegenen Gaithersburg. Diese ist nicht für ein ausgewiesenes Basketballprogramm berühmt, sondern konnte eher ihre Meriten im Schwimmsport oder Football erzielen. Für die „Trojans“ spielte Miller als Shooting Guard und konnte vom Junior zum Senior Jahr seine Statistiken deutlich verbessern. Trotzdem sind 13 Punkte nichts, womit er bei den Trojans für riesige Aufmerksamkeit sorgen konnte. Eher schon mit für einen Guard sehr guten 7.5 Rebounds und 3 Blocks, auch mal 7 in einem Spiel. Ein guter Werfer war er an der High School noch nicht, traf nicht mal jeden vierten Dreier, nicht mal jeden zweiten Zweier, wobei er sich in diesem Bereich vom ersten zum zweiten Jahr verbesserte.
Alles in allem reichte das, um ein Basketball-Stipendium zu erhalten. Damit war er der einzige Basketballer der Gaithersburg HS, dem das jemals gelang. Für ein Top-College hat es mit den Zahlen und dem Background nicht gereicht, so ging es nach Worcester, Massachusetts, New England, in der Nähe von Boston ans Holy Cross College. Holy Cross ist ein katholisches Jesuiten College, das sich vornehmlich auf Geisteswissenschaften konzentriert und einen hohen akademischen Anspruch hat. Miller hat seinen Abschluss in Philosophie gemacht. Nicht wirklich berühmt ist Holy Cross für sein Basketball-Programm. Die Erfolge sind übersichtlich, zumindest die aktuellen. In den 40er Jahren – ja, schon ein bisschen her – spielte NBA-MVP und -Hall of Famer Bob Cousy für die „Crusaders“, da konnte man auch mal das eine oder andere Spiel in der NCAA Endrunde gewinnen, musste dann aber sage und schreibe 63 (!!!) Jahre auf einen Sieg in der Endrunde, d.h. bis zu diesem Jahr, warten. Oft genug konnte man sich gar nicht für die Endrunde qualifizieren oder flog in der ersten Runde sieglos raus. Dabei findet man sich in der Patriot League in guter bzw. schlechter Gesellschaft, die anderen Teams dieser doch recht schwachen Conference sind in der Regel auch nicht besser. In der Endrunde der NCAA schafft es selten mal ein Team der Patriot League über die erste Runde hinaus. Das muss man bei den College Statistiken berücksichtigen. Diese waren nicht schlecht, lagen im letzten Jahr bei 14,5 Punkten / 5 Rebounds / 1,6 Blocks / 48 % Zweier / 38 % Dreier / 1 Assist / 2 Turnover. Aber auch eigentlich nicht so gut, um sich damit für Höheres zu empfehlen, schon gar nicht, wenn sie bei einem schwachen College in einer schwachen Conference erzielt wurden. Erwartungsgemäß reichte das alles nicht, um beim NBA Draft gezogen zu werden.
Hier mal ein paar Bewegtbilder aus der Collegezeit:
Zahlen sind nicht alles, das wird am Beispiel Malcolm Miller mal wieder deutlich. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Boston Celtics ihn mit diesen Statistiken zunächst zur NBA Summerleague einluden. Dort hat er trotz mäßiger Zahlen – 12 Minuten, 4 Punkte, aber gute Quote, u.a. 5/6 Dreier – wiederum die Coaches der Celtics überzeugt. Auf lange Sicht sehen sie bei Miller das Potenzial für die NBA aufgrund seines guten Wurfs sowie seiner Physis und damit verbundenen Fähigkeit, den Korb zu attackieren. In erster Linie aber, weil er ein vielseitiger Verteidiger ist, wobei ihm seine schnellen Füße, seine langen Arme und seine explosive Sprungkraft helfen. Er benötigt aber noch Erfahrung und muss sein ball handling verbessern. Miller spielte die Summer League zusammen mit Royce O’Neale, hinterließ bei den Machern jedoch einen deutlich besseren Eindruck, als der Ex-Ludwigsburger. Der „Lohn“ dafür war eine Verpflichtung für das pre season NBA training camp der Celtics. Für die NBA reichte es nicht, als einer der letzten Spieler wurde er Ende Oktober aus dem Kader gestrichen. Es reichte jedoch für eine Verpflichtung für das Development Team der Celtics, die Maine Red Claws, für die sog. D-League. In gewisser Weise hielt Boston ihn noch nicht reif für die NBA, wollten ihn jedoch auch noch nicht ganz vom Haken lassen.
Das erste Mal Profi, wenn man mal die 25.000 Dollar abzieht, die er von Boston für das Trainingscamp erhalten hat. Wobei die NBA Development League – mal euphemistisch ausgedrückt – nicht gerade als „Gelddruckmaschine“ gilt, Entwicklung und NBA-Fokus stehen im Vordergrund. Aber immerhin ein Start ins Berufsleben als Basketballer. Im Wesentlichen kann man diesen als gelungen bezeichnen. Als jüngster Spieler des Teams kam er auf 47 Einsätze, 43 als Starter, mit 32 Minuten im Schnitt, der drittmeisten Einsatzzeit aller Spieler. Eigentlich ein gutes Zeichen, wenn ein Coach einen Spieler oft auf dem Parkett sehen will. Er erzielte gut 12 Punkte, 4 Rebounds mit 40 % Dreierquote, 60% Zweierquote und 80 % Freiwürfen. Auch auf diesem Niveau hatte er für einen small forward immer noch sehr beachtliche 1,3 Blocks pro Spiel. Allerdings hatte er auch in der letzten Saison wieder mehr Turnover als Assists. Dieser Malus zieht sich durch seine komplette Geschichte von Jugendjahren an. Wenn man seine Zahlen mit einem genaueren Blick im entsprechenden Umfeld betrachtet, bauen sie etwas ab. Die D-League ist offensiv geprägt, gerade das Spiel der Red Main Claws, die im Schnitt 112 Punkte pro Spiel erzielen. Da sind dann 12 Punkte nur noch der 10.-beste Wert des Teams, 4,2 Rebounds nur der 8.-beste. Mit keinem seiner Werte – abgesehen von den zweitmeisten Blocks – gehört er zu den fünf besten Spielern seines Teams und natürlich auch nicht der Liga. Er hat fast identisch lange gespielt, wie Brandon Ashley, generell lagen keine Welten zwischen beiden, bei den Rebounds hatte Ashley natürlich die Nase klar vorn. Beim Defense Rating war Ashley besser, beim Offense Rating Miller.
Auch aus der D-League ein paar highlights:
Auch in diesem Sommer wurde Miller wieder von den Boston Celtics zur Summer League eingeladen, konnte seine Stats im Verhältnis zum Vorjahr klar verbessern ohne jedoch in irgend einem Bereich dominant zu sein. Nun geht es für Miller das erste Mal nach Europa, zum ersten Mal in eine Liga, in der Gewinnen oder Verlieren eine echte Bedeutung hat. Es darf davon ausgegangen werden, dass über Optionen der Weg über die Summer League in die NBA weiterhin offen sein wird.
Pros
Malcolm Miller ist ein Spieler, der sicher einige Vorteile hat, die für ihn sprechen. Vorteile, die auch für ALBA Berlin interessant sein könnten. Hier einige Punkte, die für ihn sprechen könnten:
- Miller ist ein vielseitig einsatzbarer Spieler, er kann aus jeder Distanz sicher scoren. Das eröffnet ihm taktisch diverse Möglichkeiten. Er kann aus dem hand off zum Korb ziehen, wenn er eine Lücke sieht oder einen step back machen und über den screen aus der Distanz abschließen.
- Malcolm Miller ist potenziell ein guter 1 gegen 1 Verteidiger. Schnelle Füße und lange Arme sowie eine enorme Sprungkraft helfen dabei.
- Es wird spektakulär! Der Entertainment-Faktor ist bei Malcolm Miller ausgesprochen ausgeprägt. Er liebt es spektakulär per Dunk abzuschließen und seine Gegenspieler zu blocken.
- Malcolm Miller hat großartige Physiognomie für einen Basketballer. Körperlich nicht riesig, verfügt er jedoch über sehr lange Arme und kommt auf eine Spannweite von 2,13 m. Das ist nahezu identisch mit Bogdan Radosavljevic, Elmedin Kikanovic, Leon Radosevic oder dem neuen Münchner Center Ondrej Balvin und 6 cm mehr als beim deutschen Nationalspieler Elias Harris.
- Miller verfügt über eine enorme Sprungkraft, was sich in Verbindung mit den langen Armen in einer maximal erreichbaren per Sprung erreichbaren Höhe von 3,63 m ausdrückt. In anderen Worten: Er kann locker beim Dunken von oben durch den Ring gucken. Es ist ein Wert, der sich nicht hinter denen von Centern verstecken muss. Sharrod Ford, Pops Mensah-Bonsu, Stephane Lasme oder Trevor Mbakwe liegen in diesem Bereich, die Alba-Center Elmedin Kikanovic und Bogdan Radosavljevic „hüpfen“ über 20 cm kürzer. Und selbst bei Brandon Ashley, der ja ein Stück größer ist, noch längere Arme hat und durchaus kein unbegnadeter Springer ist, sind es noch über 6 cm weniger.
- Eine „unauffällige“ High School und College-Karriere ohne größere Meriten und Auszeichnungen kann etwas bedeuten, muss es aber nicht zwingend. Eventuell hat ja noch der eine oder andere Berliner noch recht positive Erinnerungen an einen gewissen Reggie Redding, Cliff Hammonds oder Jamel McLean. Keiner von denen hatte wesentlich bessere Statistiken am College, eher schlechtere. Keiner von denen hat es am College ins First Team der jeweiligen Conference geschafft. Auch nach dem College kann man also gut und gerne noch einen Schritt nach vorn machen.
- soft fact: Alba Berlins neuer Coach Ahmet Caki und Sportdirektor Himar Ojeda haben sich Miller vor wenigen Tagen eingehend angesehen und sind zu der Auffassung gekommen, dass er zu ihren Vorstellungen vom kommenden Alba-Team passen würde. In den beiden vereint sich schon eine gewisse Kompetenz.
Cons
Neben einigen Punkten, die für die Verpflichtung von Malcolm Miller sprechen, gibt es auch einige, die für Fragezeichen sorgen. Ist er der richtige Spieler für die richtige Position im neuen Alba Team?
- Der erste vielleicht negative Punkt, der ins Auge springt, ist die fehlende Erfahrung in Europa. Ein Punkt, den man nicht unterschätzen sollte. Es ist in den letzten Jahren eher unüblich geworden, Spieler direkt aus den USA in die BBL zu holen, selbst bei kleineren Teams. Normalerweise gehen die nach dem College erst mal in eine kleinere Liga; Redding zunächst nach Zypern, Derrick Allen nach Island, McLean nach Belgien usw. Und das aus gutem Grund! Die Anpassung an den europäischen Basketball bereitet doch oft erhebliche Probleme. Ben Hansbrough hat es z.B. in München nicht geschafft, war nach nur 10 Spielen wieder weg. Und das nicht, weil er ein schlechter Basketballer wäre, schießlich hat er danach mehrere Jahre in der ACB gespielt und es auf einige NBA-Spiele gebracht. Der kam im Gegensatz zu Miller als College Star, MVP der Conference, 19 Punkte pro Spiel als Senior.
- So wie der Kader von Alba zusammen gestellt ist, wird Miller in Berlin wohl hauptsächlich im Front Court spielen müssen. Es ist fraglich, ob er mit dieser Rolle klar kommt. Er ist ein Guard, der sich zum small forward entwickelt hat. Seine Spielweise ist die eines small forwards. Power Forwards spielen ganz anders. So hat Miller noch nie gespielt, ob er sich diese Spielweise schnell annehmen kann, ist nicht unbedingt sicher.
- Malcolm Miller hat die Größe und das Gewicht in etwa von Niels Giffey. Seine 2,00 m sind mit Schuhen und Aufwind gemessen, in der Realität ist er klar unter 2 Meter groß und wiegt etwas über 90 Kilo. Nichts, womit man physisch gegen viele „echte“ Power Forwards gegen halten kann.
- Miller bringt die Voraussetzungen mit, um gut 1 vs 1 verteidigen zu können. Aber wie sieht es mit der in Europa viel wichtigeren Team Defense aus? Was bringt er an taktischem Verständnis dafür mit? Auch dahinter muss man wohl erst mal ein dickes Fragezeichen setzen.
- Auch offensiv funktioniert europäischer Basketball deutlich anders, als am College oder in der D-League. In Europa wird disziplinierter gespielt, mehr an Systemen und einem taktischen Grundgerüst ausgerichtet, in Amerika ist mehr Raum für Intuition und Individualität. Diese Umstellung dürfte auch nicht ganz reibungslos verlaufen.
- Wie unter den Pros erwähnt, müssen College Stats nicht zwingend aussagefähig für das Potenzial eines Spielers sein, sie können aber! Sie können schlicht und einfach das Leistungsvermögen eines Spielers darstellen.
- Bei Alba Berlin gibt es einen hohen Erfolgsdruck und eine hohe Erwartungshaltung der Fans. Ein Sportler, zumindest einer, der es bis auf top level schaffen will, will ja grundsätzlich immer gewinnen. Aber der Unterschied zwischen gewinnen wollen und gewinnen müssen ist riesig. Mit diesem Druck muss der junge Miller auch erst mal klar kommen.
Alles in allem ist die Verpflichtung von Malcolm Miller eine starke high risk high potential Verpflichtung. Der Ausgang ist für uns dabei völlig offen. Dass sich das eingegangene Risiko auszahlt, ist eher Hoffnung als Gewissheit. Wie seht ihr das?
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2 Gedanken zu „Malcolm mittendrin … eine kontroverse Verpflichtung!“