
Auch im Dezember ist Albas Kaderplanung immer noch nicht abgeschlossen: Dominique Johnson wird den Verein verlassen, dafür kommt Carl English. Gerade als sich die Mannschaft halbwegs stabilisiert hat, kommt noch einmal Unruhe im Teamgefüge auf. Vom Zeitpunkt könnte der Wechsel gerade noch stimmen, eine klare Identität fehlt der Mannschaft jedoch immer noch.
Würde man als Metapher für Alba ein Schiff nehmen, könnte eventuell so langsam wieder die Floskel vom ruhigen Fahrwasser in Betracht gezogen werden. Zu behaupten, bei den Berlinern würde alles rund laufen, wäre weit übertrieben. Doch zumindest die Fahrtrichtung scheint allmählich zu stimmen. Mehr oder weniger souveräne Siege in der Bundesliga gegen Gießen und Würzburg sowie gute Phasen bei den Niederlagen gegen Bilbao und Moskau, zeigten, dass in diesem Kader vielleicht doch mehr Potenzial steckt. Die defensiven Rotationen klappen nun weitaus besser als vor ein paar Wochen, einige Spieler wie Giffey, Milosavljevic oder Kikanovic sorgen für Stabilität im Angriff. Für den Schwenk ins ruhige Fahrwasser stehen jetzt allmählich auch alle Matrosen wieder zur Verfügung, Tony Gaffney und Malcolm Miller haben ihre Verletzungen auskuriert und müssten allmählich ihren Rhythmus finden.
Ganz so einfach ist es dann leider auch nicht. Der diesjährige Alba-Kader ist nicht nur ein Schiff, sondern auch eine einzige Baustelle. Und gerade als scheinbar die gröbsten Löcher im Schiffsrumpf gestopft wurden, scheint Alba das nächste freiwillig aufzureißen: Dominique Johnson, gerade erst im Sommer mit einem Zwei-Jahresvertrag nach Berlin gekommen, wird den Verein in Richtung Italien verlassen, dafür steht mit Carl English ein neuer Spieler schon bereit. Hier wird nicht eine schnelle Nachverpflichtung getätigt, wie z.B. im Fall von Paul Carter, sondern eine klare Kursänderung vorgenommen. Johnson sollte eine tragende Säule des diesjährigen Teams werden, von ihm versprach man sich Punkte und Athletik auf der kleinen Flügelposition, deswegen auch der längere Vertrag. Ahmet Caki hoffte im Sommer noch mit Johnson „Energie und Athletik“ geholt zu haben, immerhin hatte der US-Amerikaner in den Vorjahren auch im Eurocup ansehnliche Zahlen aufgelegt.
Diese Zahlen bestätigt er zwar für Alba auch im Eurocup mit durchschnittlich 15 Punkte bei sehr guten Quoten, in der Liga blieb Johnson für seine Rolle jedoch oft unauffällig, fiel mit nachlässiger Verteidigungsarbeit und Diskussionen mit den Schiedsrichtern auf. Wenn Trainer und Vereinsführung nicht an eine Besserung glauben, dann ist es nur konsequent, jetzt eine Entscheidung zu treffen.
Warum? Auch sehr späte Kaderveränderungen können durchaus noch zu guten Playoffs führen. Man denke an die Chaos-Saison 2010/2011, als die Verpflichtungen und Entlassungen bis zum März das Team nochmal zum Besseren veränderten. Doch in dieser Spielzeit steht für Alba bereits im Februar das Top-Four in eigener Halle an, ein verunsichertes Team kann man sich dort nicht erlauben. Über den sportlichen Wert der Veranstaltung kann gestritten werden, medial erhält das Top Four recht viel Aufmerksamkeit. In eigener Halle nicht wettbewerbsfähig sein zu können, würde sehr am Selbstverständnis des Vereins kratzen. Und Kratzer wurden in den letzten Jahren so einige eingesteckt!
Übermäßig schönreden muss man die erneute Änderung im Teamgefüge allerdings auch nicht. Johnson sollte eine tragende Rolle einnehmen und man hat sich offenbar so sehr verschätzt, dass nach gerade mal 3 Monaten die Reißleine gezogen wird. Nach dem von Brandon Ashley selbst forcierten Abgang, ist das schon die zweite Personalie, die Unruhe in die Mannschaft bringt. Außerdem erscheinen die Nachverpflichtungen Gaffney und English wie Notlösungen, Spieler mit einer Perspektive für eine weitere Entwicklung sehen anders aus. Vor nicht allzu langer Zeit hat Geschäftsführer Baldi das Konzept des Vereins so umrissen, dass man junge, hungrige Spieler sucht, die noch eine Menge Potenzial haben, sich zu entwickeln und bei Alba Berlin „den nächsten Schritt“ machen sollen. Davon ist die Ü30-Fraktion um Gaffney, English und Atsür weit entfernt. Im Prinzip war das der knapp 30-jährige Johnson auch. Eine neue Baustelle just vor dem wichtigen Spiel in Vilnius ist auch nicht die allerbeste Nachricht, das Weiterkommen im Eurocup hätte man sich mit der Kaderplanung ein Stück weit auch selber verbaut, zumal auch die Ankunft von English die Probleme des Teams nicht direkt beheben wird. Es bleibt also fürs erste dabei: Das diesjährige Alba-Schliff schlingert noch mit unklarem Kurs durchs Wasser.
English lessons mit Captain Canada
Mit Carl English (35) kommt nicht nur ein neuer Basketballer nach Berlin, sondern auch ein Mensch mit einer bewegten Vergangenheit. Gerade mal fünf Jahre war English alt, als seine Eltern in einem Wohnungsbrand ums Leben kamen. Der Kanadier wurde im Anschluss von seinen vier Brüdern getrennt und zog zu seiner Tante und seinem Onkel nach Neufundland. Die Insel gilt eher nicht als Basketball-Hotspot: Basketball-Training in der Highschool gab es nur einmal die Woche, ein Freiplatz war auch nicht vorhanden. Das hinderte English jedoch nicht daran, seiner Passion nachzugehen. Er stellte einfach einen Basketball-Korb am Straßenrand auf und verbrachte seine Zeit dort – sofern er nicht gerade vorbeifahrenden Autos Platz machen musste.
Um eine Basketball-Karriere starten zu können, zog der Flügelspieler mit 16 Jahren Jahre in die Metropolregion um Toronto, um die letzten Highschool Jahre dort zu verbringen und eventuell Colleges aus Amerika auf sich aufmerksam zu machen. Mit Erfolg: die University of Hawaii at Manoa (U.H.) rekrutierte English. Diese Entscheidung erschwerte den Traum von der NBA, da die U.H. nicht so viel Aufmerksamkeit erhält, wie andere Universitäten vom Festland. English erzählte jedoch später in einem Interview, dass er diese Entscheidung jederzeit wieder so treffen würde, allein wegen der gesammelten Erfahrungen und des erfolgreichen Uni-Abschlusses, auch wenn der geplatzte Traum der NBA ihn über mehrere Jahre noch beschäftigen sollte.
Nach mehreren erfolglosen Versuchen es doch noch in die NBA zu schaffen, zog es den Kanadier nach Europa, wo er ein Großteil seiner Karriere in der spanischen Liga verbrachte. Zwar stehen auch Stationen wie Italien, Kroatien und Griechenland in seiner Vita, den größten Eindruck hinterließ er jedoch auf der iberischen Halbinsel und den kanarischen Inseln, 2013 wurde er mit Estudiantes Madrid sogar Topscorer der ACB. Erfahrungen hat English also schon auf der halben Welt gesammelt und auch für das kanadische Nationalteam war er eine jahrelange Stütze.
Stichpunkt Erfahrung: English ist ein Veteran, der schon alles gesehen haben dürfte, sich allerdings auch im Spätherbst seiner sportlichen Karriere befindet. Als Ehemann und Vater dreier Kinder richten sich seine Gedanken natürlich schon auf die Zeit nach dem Basketball, verriet er im Interview mit CBC-Kanada. Alba Berlin dürfte für ihn also eine der letzten Stationen werden, vielleicht sogar die Letzte. Vom Straßenrand in einem Kaff auf Neufundland in die Arena am Ostbahnhof: eine passende Beschreibung für den kanadischen Weltenbummler.
Dass Spieler auch in fortgeschrittenem Alter noch hochklassig Basketball spielen können, beweisen Rickey Paulding (34), Alex Mumbru (Bilbao, 37), Marko Popovic (Fuenlabrada, 34), David Logan (Vilnius, 34), EJ Rowland (Khimki, 33), Devin Smith (Maccabi Tel Aviv, 34) oder die „Altherrentruppe“ Real Madrid um Nocioni (37), Reyes (36) und Carroll (33) immer wieder auf europäischem Parkett. Wie gut der Fitness-Zustand von Carl English, der von Mitspielern und Konkurrenten immer wieder als Teamplayer und großer Sportsmann beschrieben wird, noch ist, wird er auf dem Parkett beweisen müssen, den Willen dazu scheint er zu haben, wie er gegenüber canada basketball betonte: „You can’t play for ever, but I’ll go until the wheels fall off.“