Im Gespräch mit Thomas Pletzinger, Teil II. Über Fans, Kultur und Kommerz u.a.m.

Buchcover

Im ersten Teil erzählte Thomas Pletzinger über alte und neue Heimat, über sich und an- dere, Vergangenheit und Gegenwart, natür- lich über sein aktuelles Buch „Gentlemen, wir leben am Abgrund“ (aktuell Platz 1 bei amazon in der Kategorie Sportbiographien), die Arbeit daran und noch viel mehr… Im zweiten Teil reden wir mit Thomas Pletz- inger über Gemeinsamkeiten und Unterschie- de von Sportlern und Schriftstellern, John Irving und JC Oates, Kunst und Kommerz, Fans, Fanszenen, Fankultur und deren eigene Wahrnehmung, die Alba-Krise und die Alba- Familie, das unterschiedliche Verhältnis gegenüber Luka Pavicevic und Samuel Katzurin sowie den Bamberger „Paul Neumann“, der es zu bescheidener Internet-„Berühmtheit“ gebracht hat.

Ein Basketballspiel ist großartige Unterhaltung, Rampenlicht, tosende Stimmung, krachende Dunkings, spektakuläre Steals, raffinierte Pässe … für zwei bis vier Stunden pro Woche! Der Rest ist Training, Busfahrt, Flug, Busfahrt, Hotel, Training, Flug, Busfahrt, Training, Hotel, Flug, Busfahrt und immer wieder Warten, Warten, Warten … Klingt so ganz und gar nicht glamourös, eher trist. Entzaubert dein Buch die Show? Können und müssen wir die Beschreibung von Tristesse erwarten? Desillusionierst du?

Ich denke nicht, dass da eine Entzauberung stattfindet. Wenn ich ehrlich bin, finde ich die Arbeit hinter den Kulissen sogar viel interessanter. Das Spiel an sich fasziniert mich, das hat Zauber genug. Ein brüllendes Publikum und die Adrenalinausschüttung bei einem perfekten Spielzug ist Show genug. Und die Tristesse der Reisen, der Hotels und Busse hat auch etwas Kontemplatives, etwas Ernstgemeintes und Ehrliches – das fasziniert mich mehr als Choreographie und Spielchen. Wenn es nach mir ginge, bräuchte es die Lichtshow und diese Musik eigentlich gar nicht. Ich finde die Intensität des Spiels auch ohne Glitter gut.

Sportler und Schriftsteller sind sich in ein paar Punkten nicht unähnlich. Du hast den Vorteil, das eine in der Vergangenheit gewesen und das andere aktuell zu sein. Beide leben vom Entertainment, davon, ihr Publikum zu unterhalten. Siehst du – mal abgesehen vom Offensichtlichen, dass man seinen Beruf lieben muss, um erfolgreich zu sein – weitere Gemeinsamkeiten, Schnittpunkte? Wodurch unterscheiden sie sich grundlegend?

Der Schriftsteller John Irving spricht immer davon, dass er als Autor trainieren muss, genauso wie früher als Ringer: Dinge und Abläufe wiederholen, jeden Satz genau durchführen, immer wieder neu. Disziplin, Ausdauer und Training gehören dazu, wenn man gut sein will. Man muss trainieren, damit man im Ernstfall sein Handwerk perfekt beherrscht, ohne darüber nachzudenken. Im Idealfall spielt oder schreibt man einfach. Sportler und Schriftsteller sind sich meiner Meinung nach sehr ähnlich, beide brauchen Konsequenz, Disziplin, Ausdauer, Liebe, Rituale, Automatismen. Joyce Carol Oates sagt, dass sie läuft, um sich aus gedanklichen Sackgassen hinaus- zumanövrieren. Sport ist mir auch als Schreiber immer wichtig. Seit ich nicht mehr so oft Basketball spiele, laufe und schwimme ich eben.

Für Philosophen ist der Freiheitsbegriff, speziell die Willensfreiheit, eines der großen Themen des 21. Jahrhunderts. Für Schriftsteller mag das auf einer anderen Ebene ebenso sein. Künstlerische Freiheit verhält sich antagonistisch zur Abhängigkeit von Kommerz. Anders ausgedrückt: Um vom Schreiben zu leben, muss man Bücher verkaufen. Beschäftigt dich diese Ambivalenz, bedrückt sie dich gar? Hast du eine pragmatische Umgehensweise mit diesem Dilemma?

Ich finde es gut, wenn ein Buch unterhalten kann und viele Leser findet. Das ist ja nicht gleichbedeutend mit mangelnder Qualität. Ich lese gerne auch gute Unterhaltung, interessiere mich für populäre, pop-kulturelle und etliche nicht-elitäre Themen. Sport ist eines davon. Wenn man vom Schreiben leben will, finde ich, dass es nicht schaden kann, wenn man Marktmechanismen und populäre Tendenzen kennt. Letztlich weiß ich aber, dass Verkaufsüberlegungen und kommerzielles Kalkül nicht die treibenden Kräfte meines Schreibens sind. Vor allem nicht auf Textebene. Ich versuche einfach, Texte zu schreiben, die ich selber gerne lesen würde. Die mich inhaltlich und formal interessieren. Dinge genau zu beobachten interessiert mich. Ein wirklich gutes Buch oder Drehbuch zu schreiben, ein gutes Hörspiel oder einen guten Artikel. Das ist nicht so einfach, das will man schaffen. Und wenn man es schafft, kommt der Rest hoffentlich von selbst. Für den Verkauf und Vertrieb sind dann andere, kompetentere Menschen zuständig.


Zurück zum Sport. Marco Baldi, Geschäftsführer von Alba Berlin, spricht öfter von der sog. „Alba-Familie“. Du warst nun eine Saison lang „Adoptivsohn auf Zeit“ dieser „Alba-Familie“. Der Begriff ist abstrakt, inhaltlich für viele nicht zu greifen. Was muss man sich darunter vorstellen? Was macht diese Alba-Familie für dich aus, wie hast du sie als Quasi-Familienmitglied wahrgenommen?

In gewisser Weise ist das Ganze ja trotz der Größe immer noch eine Art  Familienbetrieb. In der Geschäftsstelle und im Verein arbeiten etliche Leute schon seit ewigen Jahren. Marco Baldi, Dieter Hauert und Doc Schmidt haben Alba Berlin quasi gezeugt, die Schweitzers sind so etwas wie die Onkel des Kindes. Und in so einer Basketballmannschaft, die zehn Monate des Jahres zusammen spielt, geht es natürlich ebenfalls sehr persönlich und vertraut zu. Aber man sollte den Familienbegriff in diesem Fall natürlich nicht überstrapazieren, idealisieren und erhöhen. Auch bei Alba greifen die Regeln des modernen Profisports. Und die sind machmal, sagen wir: familien-unfreundlich.

Alba Berlin durchlebte zu Beginn letzten Jahres eine schwere Krise, die letztlich im Trainerwechsel von Luka Pavicevic zu Muli Katzurin gipfelte. Hat sich diese Krise auf deine Arbeit ausgewirkt, stand das Projekt auf der Kippe? Gab es seitens der beiden Trainer Pavicevic und Katzurin unterschiedliche Positionen gegenüber deiner Arbeit und im Umgang mit dir?

Die beiden sind grundverschieden, aber beide interessante Typen. Ich habe das Projekt mit der Beurlaubung Luka Pavicevics natürlich in Gefahr gesehen, weil ich soviel Zeit mit ihm verbracht und in unser Verhältnis investiert hatte. Ich wusste, dass er eine spannende Geschichte hat und die auch erzählen will. Ohne ihn, dachte ich, fehle dem Buch die Hauptfigur. Katzurin war deutlich wortkarger. Er kam, machte den Job und ging abends nach Hause. Ich und das Buch waren ihm, so war zumindest mein Eindruck, nicht so wichtig. Andererseits war ich bei ihm auch deutlich freier in meiner Arbeit und konnte immer dabei sein.

Fans sind eine – in jeglicher Wortbedeutung – „besondere“ Spezies an Menschen. Deren Handeln lässt sich rational nicht begreifen, mit Begriffen wie Kosten-Nutzen-Analyse, ROI u.ä. braucht man einem Fan nicht zu kommen. Sich nahezu 24 Stunden in Busse und Züge zu setzen, dafür noch relativ viel Geld zu bezahlen um  sich für 2 Stunden auswärts ein Basket-ballspiel anzusehen, klingt ziemlich irrsinnig. Mit logischem Denken, vermutlich überhaupt mit Denken, ist das nicht zu verstehen. Als Schriftsteller hat man ja idR keine Fans im klassischen Sinne, für dich war das eher Neuland, oder? Wie hast du dich dem Phänomen Fan angenähert? Wie ein Verständnis dafür entwickelt, was Fans tun und warum? Was hat sich in diesem einen Jahr mit Alba in deiner Wahrnehmung von und deinem Verhältnis zu Fans geändert? Gibt es im Nach hinein in dieser Hinsicht Dinge, die dich überrascht haben?

Literatur ist nunmal primär keine Massenveranstaltung, sondern oft individuelles Erleben: Man sitzt rum und liest. Als Autor hat man zwar Fans, aber die bringen selten Trommeln mit zu den Lesungen. Aber trotzdem war mir die Spezies Fan vorher ja nicht fremd. Ich mag das ja sehr, wenn sich Leute lautstark begeistern. Ich mag Enthusiamus. Ich mag hysterische Hallen und Stadien. Die kleinen, aber feinen Grenzüberschreitungen. Pöbeleien und Krakeelen. Ich habe mich ja im Buch auch mit Identifikation und fragloser Passion auseinandergesetzt. Und ich bin euch Berliner Fans, aber auch den gegnerischen Fans ja ständig begegnet und auch mit ihnen aneinander- geraten. Es hat mir gefallen, da einzutauchen und darüber nachzudenken. Überrascht hat mich eine Email von einem Bamberger Fan, mit dem ich heftig diskutiert habe (im Buch heisst er „Paul Neumann“). Er schrieb, dass er sein eigenes Fan-Sein beim Lesen meines Buches neu durchdacht habe, sein Verhältnis zu Sven Schultze zum Beispiel. Im Buch steht der Satz, dass er und ich uns „vielleicht ähnlicher sind, als ich gedacht habe“. Paul Neumann hat das Buch sehr gefallen. Und das hat mich sehr gefreut.

Bei Alba Berlin hat sich zum Ende der Saison in Punkto Fankultur einiges spür- und hörbar geändert. Mit Block 212 hat sich eine neue Bewegung von hauptsächlich „jungen Wilden“ aufgemacht, die Fanszene aufzumischen. Inwieweit wurde das im Verein und im Team wahrgenommen? Wurde über so etwas intern diskutiert?

Die Spieler merken natürlich, wenn es auf den Rängen kracht und leuch- tet. Und das freut sie natürlich sehr. Alle wissen, dass die O2-World voll und laut sein muss, um eine richtige Heimhalle zu sein. Ich persönlich finde es ja gut, wenn es etwas rauer zugeht. Sportlich gemeinte Unhöflichkeiten und kleinere Grenzüberschreitungen können reizvoll sein. Ein klein wenig Fussball kann dem Basketball für meine Begriffe nicht schaden.

Die Stimmung wurde insgesamt auch etwas provokanter, Dinge wie den Suput-Song hätte es früher nicht gegeben. Wurde das kontrovers diskutiert?

Mit mir nicht. Aber es wurde gelächelt, glaube ich, über den ironisch zurechtgebogenen Reim. Insgesamt finde ich, dass witzig immer gut ist. Auch beim Dissen. Ernsthaftes Dissen und ernsthafte Schmähungen sind ja oft recht traurig und trist. Während der Spiele selbst ist laut am besten – Pfiffe, Trommeln, variierende Gesänge. Spontane Eruptionen sind gut, Reaktionen auf das Spielgeschehen sind super.

Du bist mit Alba Berlin in ganz Deutschland und in vielen Teilen Europas herum gekommen, hast dabei viele andere Fan- gruppierungen in verschiedenen Kulturen gesehen und erfahren. Sind dir dabei Dinge im Gedächtnis haften geblieben, die dich besonders beeindruckt oder amüsiert haben?

Mir ist aufgefallen, dass zum Beispiel die Italiener und Spanier wahnsinnig laut gewesen sind. Auch, wenn die Hallen nur halbvoll waren. Es war laut, es wurde sehr variabel gesungen und sehr enthusiastisch geflucht. Aber in Caserta wurde auch Geschichten von Blockaden und Be- drohungen erzählt. Patrick Femerling hat manchmal von Griechenland und der wahnwitzig aufgeladenen Stimmung bei Derbys erzählt, bei Spielern und Fans. Ich persönlich fand in der letzten Saison ein paar Heckler amüsant, die die kurzen Lärmpausen in der Halle nutzen und schlagfertig herumbrüllen. In Hagen gab es ein sehr komisches Exemplar der Sorte, in Berlin gibt es auch ein, zwei Kandidaten. Die werden dann natürlich auch vom Team wahrgenommen. Zum Ende der Saison in Bamberg hat mich dann die Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit der Fans beeindruckt, es gab immer kleinere Grenzüberschreitungen, die die Atmophäre geprägt haben. Wenn es dann noch zu einem gemeinsamen Bier reicht: perfekt.

Was liest Thomas Pletzinger, wenn er nicht schreibt oder nebenher? Was liest du aktuell bzw hast du zuletzt gelesen?

In der letzten Woche habe ich „The Marriage Plot“ von Jeffrey Eugenides und „Jáchymov“ von Josef Haslinger gelesen. Jetzt lese ich gerade „Pulphead“ von John Jeremiah Sullivan und „A Sense of Direction“ von Gideon Lewis-Kraus, beide gleichzeitig, beide sehr gute Bücher. Nächste Woche kommt dann „But Beautiful“ von Geoffrey Dyer, das will ich schon lange lesen. Wenn ich richtig schreibe, lese ich allerdings fast gar nichts. Nur Bücher, die irgendwie zu meinem eigenen Projekt passen.

Zum Schluss noch die Frage, wo und wann man „Gentlemen, wir leben am Abgrund“ erwerben kann?

Überall im Buchhandel. Gerne im örtlichen Buchladen, aber auch online.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit „Gentlemen, wir leben am Abgrund“

Danke, gerne!


2 Gedanken zu „Im Gespräch mit Thomas Pletzinger, Teil II. Über Fans, Kultur und Kommerz u.a.m.“

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