
Ja, zugegeben, wirklich viel gewonnen hat Alba Berlin in letzter Zeit nicht, ganz im Gegenteil, aber keine Situation kann so schlecht sein, dass es nicht doch noch irgend einen Gewinner dabei gibt. Für uns ist Ismet Akpinar (21) der Gewinner der letzten Wochen und empfiehlt sich für gerade für größere Aufgaben. Aufgrund der Verletzung von Aufbauspieler Peyton Siva kam Akpinar in der letzten Zeit zu längeren Einsätzen und hat diese Zeit gut genutzt.
Seit einigen Jahren diktiert Alba Berlin bzw. deren Manager Marco Baldi der Presse immer wieder sinngemäß in die Notizblöcke „Wir wollen junge, hungrige Spieler, die sich bei uns weiter entwickeln und den nächsten Schritt machen.“ Davon kann in der aktuellen Saison wirklich nicht die Rede sein; English (37), Gaffney (32) und Atsür (32) sind bei noch so großzügiger Auslegung des Begriffs nicht mehr jung, Vargas und Radosavljevic machen – bestenfalls – side steps und Miller und Giffey bewegen sich auch nur in kleinen Schritten. Die große Ausnahme: Ismet Akpinar, der als einer von wenigen einen großen Schritt nach vorn gemacht hat.
Rückblende
Als Akpinar 2013 nach Berlin kam war er noch ein Junge, Jugendlicher, auf der Suche nach seinem Platz im Team von Alba Berlin, hauptsächlich jedoch im NBBL-Team der Hauptstädter im Einsatz. Ismet Akpinar war da schon kein Unbekannter, war damals schon U-Nationalspieler, hatte bereits regelmäßig in seiner Heimat Hamburg bei Rist Wedel in der ProB gespielt und galt als eines der größten Talente seines Jahrgangs. Die Frage stellte sich, die sich bei jedem Talent stellt: Wird er den Sprung zum Leistungsträger im Profi-Basketball schaffen? Und das auf der Position des Pointguards, bei der es nicht nur ums Mitspielen, sondern ums Führen des Teams geht. Seine Position schätzte er im Sommer 2014 gegenüber alba-inside schon realistisch ein:
„Ich spiele ja auf der Aufbauposition. Das ist meiner Meinung nach die Position, die am meisten im Fokus steht. Sobald ein Fehler passiert, wird immer gleich auf den Aufbauspieler geguckt. Ich muss es schaffen, mein Team zu führen, auch wenn ich der Jüngste auf dem Feld bin. Ich muss es schaffen, Systeme auf dem Feld zu organisieren und zu initiieren, muss mismatches auf dem Feld schnell erkennen und versuchen, diese auszunutzen. In der Bundesliga und der Euroleague wird auf einem sehr, sehr hohem Tempo gespielt. An dieses hohe Tempo muss ich mich gewöhnen und auf diesem hohen Tempo Entscheidungen treffen, richtige Entscheidungen treffen. Verteidigen ist natürlich auch immer ein Thema, gerade bei Sasa Obradovic hat die Defense eine sehr hohe Priorität. Aber ich denke, in diesem Bereich habe ich mich ganz gut entwickelt, habe im Sommer auch ein paar Kilo zugelegt. An Dingen wie Wurf, Penetration, allen individuellen Sachen usw. muss man eh immer arbeiten, ganz egal, wie alt man ist, seine ganze Karriere lang. Das Wichtigste als point guard ist aber die Führung des Teams, das muss ich schaffen.

Das ist ein schwieriger Prozess, ein Spagat vom Führungsspieler im Nachwuchs bzw. unterklassigen Teams zum Bankwärmer in einer Profi-Mannschaft. Jeder, der es an die Spitze schaffen will, kommt ohne ein gewisses Maß an Egoismus nicht aus, nicht ohne unbedingten Willen, sich durchzusetzen, Qualtitäten als Führungsspieler, Verantwortung in der crunch time. Bei den Profis werden diese Eigenschaften voraus gesetzt, von Nachwuchsspieler wird aber trotzdem Demut gefordert, Unterordnung in der Hierarchie und vor allem Geduld, Geduld, Geduld. Diese Phase zu überstehen ist eine große Aufgabe für einen jungen Spieler. So sieht es auch Akpinars ehemaliger Coach Sasa Obradovic, den wir im vergangenen Sommer auch zu Ismet befragten:
Das ist kein einfacher Prozess, sondern außerordentlich kompliziert, denn man muss sich in vielen Bereichen gleichzeitig verbessern. Es reicht nicht, einfach an seinem Wurf zu arbeiten. Man muss an seinem Wurf arbeiten, aber auch gleichzeitig an seiner Position auf dem Feld und seiner Position im Team. Bei Ismet ist noch nicht ganz klar, was seine Position ist, point guard oder shooting guard. Aber seine Arbeitsmoral ist unglaublich gut. […] Man muss eine Menge Zeit und Energie in der Trainingshalle investieren und es dauert eine ganze Weile, bis sich das auszahlt. Diese Zeit muss man als junger Spieler mental überstehen.
Dafür braucht man Disziplin, eine sportliche Lebensweise auch abseits des Parketts, bei Ismet Akpinar bietet auch Glaube Halt: „Ja, ich bin Moslem. Von Geburt an. Ich bete zwar nicht fünf mal am Tag, wie es der perfekte Moslem tun sollte, aber trotzdem halte ich die Grundregeln ein, esse z.B. kein Schweinefleisch, trinke keinen Alkohol usw. Ich kenne meine Herkunft, meine Wurzeln, habe auch regelmäßig Kontakt zu meinen türkischen Verwandten. Ich würde mich als modernen Moslem im 21. Jahrhundert bezeichnen.“
fast forward … Jetzt-Zeit
Inzwischen, im Jahr 2017, hat Akpinar nicht nur den Schritt vom Jungen zum Mann, sondern auch vom Talent zum Rotationsspieler bei Alba Berlin geschafft. Das spiegelt sich noch nicht so sehr in statistisch meßbaren Werten wieder, sondern eher in seinem Auftreten auf dem Feld, durch Selbstbewusstsein und Ausstrahlung. Gewissermaßen sinnbildlich für diese Entwicklung ist ein Vergleich mit Cliff Hammonds. Zu Beginn der Karriere hat Akpinar noch extrem zu dem Amerikaner aufgeschaut und jede Menge gelernt hat „Gegen Cliff im Training zu spielen, ist das Beste, was einem jungen Aufbauspieler passieren kann. Wenn du es schaffst, dich gegen ihn durchzusetzen, wirst du es gegen andere leichter haben. Das pusht mich. Dadurch fallen mir auch im Spiel manche Dinge leichter, weil ich noch keinen Gegenspieler hatte, der mich so intensiv verteidigt hat, wie Cliff.“ Zum Anfang viel es gegen Hammonds schwer, überhaupt über die Mittellinie zu kommen, davon war beim Pokal Top Four in Berlin nichts mehr zu sehen. Hammonds hat immer noch Vorteile gerade im physischen und defensiven Bereich, aber der Abstand ist sehr viel kleiner geworden.
Dass dieser Abstand zu Hammonds bzw. allgemein zur etablierten BBL-Konkurrenz so gering geworden ist, dafür sieht Sasa Obradovic Gründe: „Ein […] Punkt ist Spielverständnis. Darüber mussten wir nicht viel reden, denn er ist ziemlich smart. Es gibt auch andere Spieler, die sind smart, aber spielen nicht smart. Ismet hat eine schnelle Auffassungsgabe, hat schnell begriffen, was ich von ihm will. Ich denke, Spielverständnis ist der Bereich, in dem er sich im letzten Jahr am meisten verbessert hat. Als er zu Alba kam, war er noch ein Junge mit schmalem Gesicht, inzwischen ist er zum Mann geworden. Das ist ebenfalls ein wichtiger Punkt des Gesamtpakets.“ Das ist sicher ein Teil des Erfolges, ein anderer, dass sich auch die Defense erheblich verbessert hat. Akpinar ist nicht der physisch stärkste Spieler, stellt aber mit schnellen Händen, immer bereit für einen steal, eine Gefahr für den Gegner dar und macht viel Druck auf diesen, was auch zu Ballverlusten führt. Offensive Stärken hat Akpinar eh von Anfang an, kriegt aber bei Alba zu wenig Würfe, um diese konstant zu zeigen. In den letzten Playoffs gegen Frankfurt hatte er die „Lizenz zum Werfen“ und konnte dort auch mit Punkten überzeugen. Gerade jemand wie Obradovic, der ja vermeintlich als sehr defensiv fokussiert gilt, sieht die Offensive bei jungen Spielern als wichtiger an, als die Defensive: „Offensive Leistungen kann man mit Training ein wenig verbessern, aber nicht besonders stark. Da hängt viel vom Talent ab, dass man einfach haben muss. Dieses Talent ist schwer zu finden. An der Defense kann man viel mehr arbeiten und Teams und einzelne Spieler in kurzer Zeit deutlich besser machen. Das geht in Bezug auf offensives Talent so nicht. Wer dieses Talent nicht hat, der hat es nicht und wird es vermutlich in seiner gesamten Karriere auch nicht mehr wesentlich verbessern können. Ein schlechter Passer wird nur ganz selten zu einem guten Passer werden, man kann ein wenig dazu lernen, aber es gibt bestimmte Limits.„
Die deutlichste Entwicklung ist jedoch unseres Erachtens bei der Austrahlung auf dem Feld zu merken. Wenn er – so wie in letzter Zeit – allein als point guard auf dem Parkett steht, ist er auch der akzeptierte Chef. Wenn die Fans beim Auswärtsspiel in Göttingen skandieren ‚Außer Isi könnt ihr alle gehen‘ ist das zunächst ein Ausbruch von Wut und Enttäuschung, aber es verdeutlicht auch, bei wem sie wirklich bedingungslosen Einsatz und „Mit Leib und Seele“ wahrnehmen. Kampf, Wille, Einsatz, verbunden mit einem immer noch vorhandenen Potenzial für Steigerungen, sind die Eigenschaften, die einen auch mal über über immer noch vorhandene Schwächen hinweg sehen lassen.
Im Sommer könnte der längst fällige Schritt zum A-Team, zur A-Nationalmannschaft, folgen. Ein Schritt der ihm im vergangen Sommer noch verwehrt wurde, weil der Bundestrainer lieber einen College-Ami mit deutschem Pass, dessen Namen nahezu jeder wieder vergessen hat, eingeladen hat, statt auf ein Gesicht der BBL mit Talent zu setzen. Isi was not amused! Zusammen mit dem gebürtigen Berliner in Bamberger Diensten, Maodo Lo, ist Akpinar der beste junge deutsche Point Guard.
Bei einem Verein wie Alba Berlin, der sich die Förderung des Nachwuchses auf die Fahnen geschrieben hat und dies im Jugendbereich auch tatsächlich hervorragend macht, im Profiteam den eigenen Jugendspielern jedoch wenig Chancen gibt, wäre Ismet Akpinar auch in den nächsten Jahren noch gut aufgehoben. Nicht nur, weil er mit 21 Jahren immer noch ein Talent mit Entwicklungspotenzial ist, sondern auch weil die Entwicklung von Akpinar in Berlin ein Erfolgsmodell ist.
Alba Berlin sollte sich sehr um eine Verlängerung des Vertrags mit Ismet Akpinar bemühen!