
Das Mutterland des Basketballs spielt gerade verrückt! Es ist „March Madness„, ein Begriff, der für die Playoffs im Basketball der NCAA steht. Die National Collegiate Athletic Association (NCAA), ist die Dachorganisation die den Universitätssport – nicht nur im Basketball, sondern in 22 weiteren Sportarten – organisiert. Wenn der Deutsche an Universitätssport denkt, denkt er an Schulturnhallen und 300 Zuschauer, in den USA ist das eine komplett andere Nummer. Was die Faszination des Ganzen ausmacht, was den March so mad macht, wollen wir ergründen und einen Blick auf den Berliner mittendrin, Moritz Wagner (19), werfen. Zudem haben wir Spieler dazu befragt, die sich damit auskennen: Niels Giffey, zwei Mal Titelträger mit der University of Conneticut (UConn) 2011 und 2014, und Peyton Siva, der die Cardinals der University of Louisville zwei Mal ins Top Four führte und 2013 Champion wurde.
Wird es März zwischen Antlantik und Pazifik beginnen im Basketball für die Collegeteams die Playoffs, für die sich die besten 64 Mannschaften der Kategorie I Colleges der NCAA qualifizieren. Das Playoff-Fieber erfasst aber nicht nur die Spieler und Teams, sondern de facto ein ganzes Land. Zig Millionen Amerikaner fiebern mit „ihrer“ Universität mit und füllen ihr „Bracket“ aus. Eine Art Volkssport, an dem sich so ziemlich jeder beteiligt, auch der ehemalige Präsident Barack Obama füllt(e) jedes Jahr sein Bracket aus. Dabei wird auf die richtigen Ergebnisse der 63 Playoff-Spiele getippt. Zudem ist March Madness während dieser Zeit das beherrschende Thema in den Medien, Zeitungen, TV und social media sind voll von Geschichten rund um March Madness. Dieser Hype erfasst das gesamte Land. Allein am ersten Sonntag des March Madness schauten 12 Millonen Zuschauer die Spiele im TV, dazu noch 69 Millionen Zuschauer online. Die Hallen sind mit bis zu 20.000 Zuschauern gefüllt und immer ausverkauft, das Top Four wird im Football Stadion der Arizona Cardinals vor knapp 80.000 Zuschauern stattfinden und wird natürlich auch ausverkauft sein. Nach dem Super Bowl ist das NCAA Finale das zweitbedeutendste Sportereignis der USA.
Aber warum gibt es diese große Begeisterung, um nicht zu sagen, diesen Hype? Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist die regionale Verbundenheit. „Sein“ Collegeteam hat man als Fan fürs Leben, das sucht man sich auch nicht aus, sondern es ist immer das aus der Gegend wo man selbst zur Schule oder Uni gegangen ist. Wer in irgend einem Kaff im Mittelwesten geboren wurde, ist dann niemals Fan von New York oder Los Angeles, sondern der Uni aus der Nähe des Kaffs im Mittelwesten. Niels Giffey hat es selbst erlebt, „Ein Teil des Reizes liegt darin, dass es so regional bezogen ist, die Leute identifizieren sich total mit dem Team aus ihrer Region. Wir waren in Conneticut gewissermaßen der Ersatz für das Profiteam, denn es gibt in Conneticut kein Profi Basketballteam, Boston und New York sind einfach zu weit weg. So fiebert dann alles in der Region mit UConn mit und es entsteht eine starke Verbundheit. Es ist ein bisschen wie mit Schalke und Dortmund; das sind keine Großstädte, aber es gibt eine riesige Community, die dahinter steht, eine große und treue Anhängerschaft. Dazu kommt, dass die Hälfte der Leute selbst auf dieser Uni waren oder sind, deren Väter ebenfalls und oft genug deren Großväter auch. Da steckt auch eine Menge Tradition dahinter und eine große emotionale Bindung.“ Für die Spieler selbst findet Peyton Siva noch einen anderen Grund dafür, was das Collegesystem ganz generell so attraktiv für talentierte Sportler macht: „Einer der Gründe ist, dass man eine gute Ausbildung erhält. Anders als in Deutschland, ist gute Bildung in den USA nicht kostenlos. Wenn man als Basketballer ein Stipendium bekommt, hat man zum Einen kostenlosen Zugang zu einer guten Ausbildung, zum anderen kann man unter professionellen Bedingungen Basketball spielen und trainieren.„
Aber das wichtigste Argument für den riesigen Erfolg liegt wohl im Wettbewerbsmodell begründet. Es gibt ausschließlich Entscheidungsspiele, martialisch do or die genannt. Dadurch gibt es auch immer wieder Überraschungen, wer siegt, ist weiter, für den Verlierer ist die Saison beendet. Dramatik pur! Moritz Wagner, der es gerade am eigenen Leib erlebt hat meint, „Naja ist schon einzigartig gerade. Der Hype ist groß. Es geht nur um Basketball. Und es fühlt sich an als ob man wirklich ums Überleben spielt, denn wenn man verliert ist es alles vorbei.“ In die gleiche Kerbe schlägt auch Peyton Siva: „Es gibt ausschließlich Entscheidungsspiele, dieser Charakter, dass ein einziges Spiel entscheidet, ob man weiterkommt oder mit leeren Händen dasteht. Die Spiele werden auch mit sehr hoher Intensität gespielt, das macht jedes einzelne attraktiv. Es treffen verschiedene Spielstile aufeinander, es ist interessant, das zu beobachten. Den Reiz macht sicher auch aus, dass man wenig vorher sagen kann, es gibt nicht unbedingt glasklare Favoriten, die aktuelle Form des Abends entscheidet mehr über Sieg oder Niederlage, Spannung ist also garantiert. Kaum jemand hat das perfekte Bracket.“ Und für Niels Giffey macht auch die Unberechenbarkeit den Reiz des March Madness aus. „Keiner hat uns [UConn] damals auf der Rechnung gehabt, in beiden Jahren nicht.“ so der Berliner Forward „Du musst zur richtigen Zeit heiß sein und du musst mehrere Spieler haben, die ein Spiel entscheiden können.“
Was macht diese Aufmerksamkeit, dieser Hype, mit den Spielern, wie geht man damit um, dass Millionen Augen auf die Spieler gerichtet sind, in jeder Sekunde hunderte TV- und Fotokameras aufzeichnen, was man macht und tut. Jeder Journalist versucht den Spielern ein Statement zu entlocken. Die sollen sich aber eigentlich zu 100 % auf Basketball konzentrieren. Jeder Spieler geht mit der Situation anders um, jeder hat eine andere Mentalität. Moritz Wagner, der aktuell den Hype hautnah erlebt hat meint; „im Laufe der Zeit entwickelt man schon eine gewisse „Why not us?“ Mentality“ und empfindet es eher als positiven Druck. „Auf der einen Seite ist es alles wahrscheinlich total übertrieben, aber auf der anderen Seite ist dieser Hype auch was ganz Besonderes, was man nicht oft erlebt im Leben. Deswegen genießen wir das alles sehr. Das sind Erinnerungen die du dir dein Leben lang erhältst.“ Peyton Siva, geborener Amerikaner, würde man eigentlich eine gewisse Extrovertiertheit zutrauen, aber „ich gebe speziell während dieser Zeit nicht besonders viel auf die Zeitungen und lese die dann eigentlich nicht.“ so der pointguard von Alba Berlin und führt weiter aus „Jeder hat seine Meinung, egal ob du gut oder schlecht spielst. Es besteht die Gefahr, dass sich das in deinem Kopf festsetzt, du darüber nachdenkst und dich das negativ beeinflusst. Ich konzentriere mich in erster Linie auf mich selbst und auf mein Team. Nach einem Spiel mussten wir uns während des March Madness schon gleich auf das nächste vorbereiten, wir hatten gar nicht die Zeit, uns mit dem medialen Hype zu befassen.“ Auf der anderen Seite ist es laut Siva auch eine Frage der Gewöhnung. „Von Jahr zu Jahr gewöhnt man sich auch besser daran und entwickelt eine gewisse Routine. Ich habe in allen vier Jahren die Playoffs gespielt und im dritten und vierten Jahr war ich schon viel relaxter als im ersten oder zweiten. Ausserdem machten unsere Trainer einen guten Job, uns aus dem media hype rauszuhalten.“ Ganz anders bei Niels Giffey, der immer etwas zurück haltend wirkt, aber sich bei diesem Thema klar von seinem amerikanischen Kollegen unterscheidet. „Von Abgrenzen kann nicht die Rede sein, man muss das genießen. Es ist genial, wie viel Aufmerksamkeit man bekommt. Das ist sehr gut für das Selbstbewußtsein.“ so Giffey. „Es unterscheidet sich auch sehr deutlich vom typisch Deutschen, bloß ruhig und unterbuttrig bleiben, bloß nicht sagen, dass man in die NBA will. Auf jeden Fall sorgt diese große Aufmerksamkeit für positiven Druck!„
Einer, der diesen positiven Druck verspürte, war in diesem Jahr der 19jährige Berliner Moritz Wagner, der mit seinen 26 Punkten (11 von 14 getroffene Würfe) seine Wolverines der University of Michigan zum Sieg und zum Einzug in die „sweet 16“, die 16 besten Collegeteams, führte. Einer, den nach dieser Nacht auf einmal viele Millionen Amerikaner kennen, der absolut im Fokus stand. Not amused war Peyton Siva, schließlich war dieser Sieg ausgerechnet gegen „seine“ Cardinals der University of Louisville, die er 2013 noch zum Titel geführt hatte. Auf der anderen Seite war er auch beeindruckt von der guten Leistung des Berliners. „Das Spiel habe ich natürlich gesehen. Es war ein großartiges Spiel zwischen Louisville und Michigan. Es war toll anzusehen, schade, dass wir nicht gewonnen haben.“ um dann noch einige lobende Worte über Wagner loszuwerden. „Der ist wirklich gut und sehr talentiert. Es ist beeindruckend, wie er spielt. Einer unser assistant coaches, Thomas [Paech], hat mir schon von ihm erzählt, aber bisher hatte ich noch keine Möglichkeit, ihn spielen zu sehen. Jetzt habe ich ihn in dem Spiel gegen die Cardinals zum ersten Mal spielen sehen und das war sehr beeindruckend. Er ist wirklich riesig, kann gut im Post spielen und hat auch noch einen guten Wurf. Ich finde, er ist ein riesiges Talent.“
Ein Junge, der es aus dem Prenzlauer Berg, von den Nebenhallen der Max-Schmeling-Halle, in die großen Arena der USA geschafft hat. Und trotzdem nicht vergisst, wo er herkommt, auch die ganz kleinen Hallen zu schätzen gelernt hat, wie er gegenüber alba-inside in einem langen Interview im Frühjahr 2015 bestätigte „Trotzdem [bis zu 20.000 Zuschauer bei einem Collegespiel] werde ich die Schützenstraße und die Max-Schmeling-Halle total vermissen. Da bin ich so viele Jahre lang jeden Tag hin gegangen, habe jeden Tag trainiert, jeden Tag gezockt. Es ist etwas anderes, als sich in der riesigen O2 world warm zu machen. In der Schmeling-Halle klingt es schon anders, riecht anders. Auch wenn es nicht so viele Zuschauer waren, aber denen ging es wirklich um den Sport, das werde ich vermissen. Das Flair im Prenzlauer Berg, die Baustelle vor der Schützenstraße, das werde ich alles vermissen. Alles hat auch seine schönen Seiten, überall kann man etwas Positives finden.„
Inzwischen ist der Junge aus Berlin in seinem zweiten Jahr am College „angekommen“, ist jetzt schon Starter seines Teams und hat eine tolle Entwicklung – auch körperlich – gemacht. Aus dem Jungen vom Prenzlauer Berg ist ein junger Mann geworden, was man auch in den folgenden Videos gut sieht:
Was gleich geblieben ist, ist die Mentalität. Eine Offenheit, mit der er Emotionen heraus lässt, die absolute Energie, die er aufs Parkett bringt. Das war so, als er als 16-jähriger in Quakenbrück die Deutsche Meisterschaft gewann, damals das bis dato Größte für ihn und „nicht direkt vergleichbar [mit der NCAA], aber die Deutsche Meisterschaft vor einem Jahr war für mich vom Gefühl ähnlich [wie das von Niels Giffey bei seinen Titeln]. Da kriege ich immer noch Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Das geilste an der deutschen Meisterschaft ist, dass man gewonnen hat, das Gewinnen an sich. Der ganze „Ruhm“ in Anführungsstrichen kommt dann noch oben drauf. In der BBL ist es noch viel größer und wenn dir das in der NCAA gelingt, so wie Niels, bist du „King of the Campus“. “ Das Gleiche sieht man, wenn man ihn jetzt am College sieht, die gleiche Offenheit, die gleichen Emotionen, die gleiche Energie. Was geblieben ist, ist die Verbundenheit zu den (wenigen) Fans aus seiner Zeit als Nachwuchsspieler in Berlin. Und umgekehrt die der Fans zu ihm, die ihn vor ein paar Wochen am College besucht haben. Das hat ihn ehrlich gefreut. „Das war sehr schön. Immer schön alte Gesichter zu sehen und die sind ja wirklich sehr Basketball begeistert. Ich hab Ihnen alles gezeigt und es bedeutet mir schon viel dass sie von Chicago extra zu mir hier nach Ann Arbor [knapp 400 km] gefahren sind.“ Die Freude war beiderseits.
Nun ist es vorbei. Die Saison ist für Moritz Wagner abgeschlossen. Gegen die Oregon Ducks gab es die knappste aller möglichen Niederlagen (68-69) und das Saisonaus für die Wolverines. Dabei hatten die Berliner Profis Moritz Wagner wirklich ALLES zugetraut, aber eben auch darauf verwiesen, dass es im Prinzip schwer zu prognostizieren ist. „Das ist extrem schwer zu prognostizieren, sie können einen tiefen run starten, können das Ding vielleicht sogar gewinnen, man weiß es nicht. Sie haben einen sehr guten Coach, gefühlt eine gute Stimmung, Moritz spielt genial … alles ist möglich“ meinte Niels Giffey und Peyton Siva fügte an: „Sie haben eine gute Chance. Sie sind gut organisiert, gut gecoacht und spielen einen attraktiven Basketball. Sie spielen mit viel Herz und haben ihre beste Form genau zur richtigen Zeit.“ Diese Unberechenbarkeit und dass im wahrsten Sinne des Wortes wirklich Jeder Jeden schlagen kann, gehört dazu, auch das ist eben eine Seite der „Faszination March Madness„.
Zum Abschluss noch eine schöne Doku, in der sich auch sein Coach John Beilein über Wagner äußert. Beilein, der auch schon der Coach von Jo Herber war. Herber war somit ein perfekter Berater für Moritz Wagner, der sich die Entscheidung ans College zu gehen nicht leicht gemacht hatte (dazu äußert er sich ausführlich im alba-inside Interview, Moritz Wagner am Ent-Scheideweg).