Im weiteren, maritimen Sinne hat ein Kapitän die wichtigste Rolle inne, muss das Schiff sicher um alle Klippen und durch alle Stürme steuern. Er hat Einfluss auf Untergang oder eine erfolgreiche Ankunft im sicheren Hafen. Wenn man mal alle Seefahrer-Romantik außen vor lässt, sind die Aufgaben eines Kapitäns im Basketball gar nicht so unterschiedlich wie die auf hoher See. Alba Berlin fehlt dieser Kapitän für die kommende Saison noch. Wir wissen auch nicht, wem head coach Ahmet Caki diese Rolle anvertraut und er will damit warten, bis er überhaupt alle Spieler persönlich kennt, hätten aber „unseren“ Kandidaten: Engin Atsür! Warum wir ihn für geeignet halten und was er selbst zu seiner Vergangenheit und Zukunft zu sagen hat, lest ihr in der Folge.
Der Mannschaftskapitän hat ein paar formale Erfordernisse zu erfüllen, darf als Einziger auf dem Feld direkt den Schiedsrichter ansprechen, den Bogen unterschreiben und hier und da das Team repräsentieren. Das ist nichts, was nicht nahezu jeder hinkriegen könnte; Verständnis der Landessprache ist sicher nicht von Nachteil. Wer Kapitän eines Basketballteams wird, „kann man im Prinzip nicht von oben bestimmen, das muss sich heraus bilden.“ so Alba-Geschäftsführer Marco Baldi beim Ortstermin in Spandau „Das muss sich auf dem Feld herauskristallisieren […] und das nicht nur spielerisch, sondern auch auf der menschlichen Ebene.“
Der Kapitän ist der verlängerte Arm des Coaches auf dem Spielfeld. Da kommt – für uns – Engin Atsür ins Spiel, der gleich mehrere Anforderungen an einen guten Captain erfüllt:
Multilingual – türkisch, englisch, deutsch
Sprache verbindet. Ein Kapitän sollte natürlich in der Lage sein, sich mit Mitspielern, Trainern und eben auch Schiedsrichtern zu verständigen. Atsür ist geborener Türke, es ist seine Muttersprache, in der er sich mit den Coaches und Mitspieler Ismet Akpinar fließend unterhalten kann. Er hat an der Noth Caroline State University vier Jahre lang studiert und gespielt, kann sich also auch mit seinen amerikanischen Kollegen verständigen. Engin Atsür spricht aber auch sehr, sehr gut deutsch. Und das, obwohl er nie in Deutschland gelebt und die Sprache nie wirklich erlernt hat. Warum er die Sprache trotzdem so gut beherrscht, erklärt er selbst: „Meine Mutter ist Deutsche und kommt aus Westfalen, mein Bruder wohnt in Bielefeld und einige Verwandte, Tanten, Cousinen usw. leben noch in Minden in Westfalen. Ich war jedes Jahr im Urlaub in Deutschland, aber nie länger als einen Monat. Aber das ist natürlich noch etwas anderes, als wenn man hier leben würde. […] Zu Hause haben wir zu 90 % türkisch gesprochen, meine Mutter spricht inzwischen auch perfekt türkisch, ist seit 40 Jahren in Istanbul. Manchmal passiert es, dass ich sie etwas auf deutsch frage und sie auf türkisch antwortet. Mit meiner Freundin [Floortje Meijners (29), niederländische Volleyball-Nationalspielerin, aktiv in Italien] spreche ich englisch, obwohl sie von nahe der deutschen Grenze stammt. Sie versteht alles, aber spricht nicht viel deutsch. Wir haben uns kennengelernt, als sie in Istanbul gespielt hat.“
Da stellt sich nahezu zwangsläufig die Frage, warum er trotz der Quote und des so begehrten deutschen Passes 32 Jahre alt werden musste, um zum ersten Mal für ein deutsches Team aufzulaufen. Aber auch darauf hat Atsür eine Antwort: „Deutschland war im Prinzip immer eine Option, aber Basketball ist in der Türkei auch sehr populär und Basketball ist in der Türkei wirtschaftlich sehr stark. Ich habe zudem in der türkischen Nationalmannschaft gespielt, war in Istanbul, wo ich geboren und aufgewachsen bin und in der Türkei kennen mich viele Leute. So haben sich dort immer wieder gute Angebote für mich ergeben. Deshalb habe ich mal abgesehen von einem Jahr in Italien immer in der Türkei gespielt, das war immer attraktiv. Deutschland war immer im Hinterkopf, aber aus verschiedenen Gründen hat es sich erst in diesem Jahr ergeben und ich finde auch Deutschland und Alba Berlin attraktiv.„
Vertrauter des Coaches
Der Kapitän sollte der verlängerte Arm des Coaches auf dem Feld sein, in der Regel besteht zwischen beiden ein besonderes Verhältnis, ein großes Vertrauen. Von allen Alba Spielern der Saison 2016/17 kann Engin Atsür den neuen Coach Ahmet Caki am besten einschätzen: „Ich kenne Coach Caki seit vielen Jahren, auch wenn ich noch nicht direkt für ihn gespielt habe. Er ist zwar noch recht jung, hat aber trotzdem schon viel Erfahrung, weil er zeitig mit Basketball angefangen hat. Er hat viele Jahre in der ersten Liga gecoacht und ist seit vielen Jahren professionell in der Basketballwelt unterwegs. Er ist ein sehr aktiver Coach an der Seitenlinie und er lässt aggressiv in der Defense spielen. Er hat in der letzten Saison, nachdem er der head coach von Efes [Istanbul] wurde tollen, attraktiven Basketball gespielt, das war sehr schnell und aggressiv, gut anzuschauen und auch erfolgreich.“ Der auschlaggebende Grund für den Wechsel nach Berlin war der Coach jedoch nicht. „Ich kenne Alba seit vielen Jahren und ich weiß, dass Alba eine der besten Organisationen im europäischen Basketball ist. Jeder in Europa kennt Alba und ich natürlich auch und ich war sehr glücklich, als sie bei mir angefragt haben. Ich kenne wie gesagt auch unseren Trainer Ahmet Caki und das war ein weiteres Plus, aber Alba ist eine große Marke und das war der Hauptgrund.“
Kenntnis der Liga und Mitspieler
Es kann sicher nichts schaden, wenn man als Kapitän die Liga kennt, in der man spielt. In der BBL hat Atsür wie gesagt zwar noch nicht gespielt, aber „ich gucke generell viel Basketball, europäischen Basketball und auch die BBL. Deshalb kenne ich die ganz gut, weiß, wie die Spielweise ist, dass hier ein hohes Tempo gespielt wird und es viele junge, athletische Spieler gibt.“ so Atsür, „In der Türkei wird vielleicht mehr Wert auf Erfahrung gelegt, der Anteil an älteren, erfahrenen Spielern ist dort größer, die bringen auch viel Qualität mit. In Deutschland wird etwas schneller und aggressiver gespielt, jünger und wilder.“ Engin Atsür wirkt seinen Mitspielern gegenüber aufgeschlossen, redet auf dem Feld mit ihnen und abseits und – das ist wesentlich – die Mitspieler hören ihm auch zu. Einen von ihnen, Dominique Johnson, kennt er bereits aus der türkischen Liga „Wir haben uns ein wenig unterhalten, als wir gegen Banvit gespielt haben. Er ist sehr sympathisch und ein toller Spieler. Er ist sehr athletisch und physisch stark, ein talentierter Scorer und ein bissiger Verteidiger. Ich denke, dass er ein guter Fang für uns ist und Alba sehr helfen kann.“
Erfahrung, Teamplayer
In schwierigen Situationen und unsicheren Zeiten ist es der Kapitän, der einen kühlen Kopf bewahren und das Steuer fest in der Hand halten muss. Der Kapitän in der Seefahrt denkt zuerst an sein Schiff und die Mannschaft, danach an sich selbst, der im Sport zuerst an das Team, danach an sich selbst. In den bisherigen Testspielen wirkte Engin Atsür sehr abgeklärt, routiniert, wie jemand, der sein eigenes Ego zurück nehmen kann und das Team in den Vordergrund stellt. Auch wenn man ihn selbst befragt, kommt das Team an erster Stelle das Team: „Unser Team ist relativ jung und kann die Erfahrung, die ich mitbringe vielleicht gut gebrauchen. Wir kennen uns alle noch nicht so gut und jeder Spieler muss seine Rolle auf dem Feld und abseits davon finden. Letztlich werde ich die Rolle versuchen auszufüllen, die Coach Caki mir zugedacht hat. Ich hoffe, wir haben eine gute Teamchemie, denn die ist Voraussetzung, um erfolgreich sein zu können. Basketball in Europa ist sehr aggressiv, physisch und schnell. Dafür braucht man alle Spieler, eine große Rotation, alle müssen Defense und Offense gleichermaßen spielen. Jeder Spieler im Team muss auch punkten können. Ich möchte Alba in jedem Bereich helfen, wir wollen nach Möglichkeit alle Spiele gewinnen. Das ist mein Ziel, das ist unser Ziel.“ Dabei ist er bescheiden genug, um sich nicht selbst als Kapitän ins Gespräch zu bringen „Ich glaube, ich bin der Älteste und Erfahrenste. Aber das ist kein Wert, nichts, worauf man sich ausruhen kann. Man fängt bei Null an und muss immer wieder kämpfen, um das zu schaffen, was man sich vorgenommen hat. Zum Anführer wird man nicht ernannt, das kann jeder Spieler durch sein Handeln auf und abseits des Feldes werden.“
Fazit
Wir denken, dass Engin Atsür die Persönlichkeit und Mentalität mitbringt, um ein guter Kapitän von Alba Berlin sein zu können. Die zuvor dargelegten Punkte sprechen dafür, dass er die nötigen Anforderungen erfüllen kann, wenn ihm der Coach diese Rolle zutraut. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch noch andere Spieler dafür infrage kämen …
Fotoshow
Hier noch ein paar Bilder von Engin Atsür