
Über vier Jahre leitete Saša Obradović als head coach von der Seitenlinie die Geschicke von Alba Berlin. In dieser Zeit gelangen ihm die zweitmeisten Siege aller bisherigen Alba-Trainer und es gab einige highlights wie drei Pokalsiege in vier Jahren, eine Vizemeisterschaft und großartige Auftritte auf europäischem Parkett inklusive des Viertelfinales im Eurocup und der historische und bis jetzt unerreichte Platz 5 in den Top16 der Euroleague. Als Spieler galt er als einer der besten Aufbauspieler der Welt zu seiner aktiven Zeit, wurde Welt- und mehrfach Europameister sowie Vize-Olympiasieger und hat mit Alba den Korac-Cup gewonnen. Als Coach, wurde er Meister in Deutschland und der Ukraine sowie mehrfach Pokalsieger in Deutschland. Zudem wurde er zum BBL Coach of the Year und drittbesten Coach der Euroleague gewählt. Neben all diesen Meriten hat er aber vor allem dem Team von Alba Berlin eine neue Identität und ein klares Profil gegeben. „Mit Leib und Seele“ war für Obradovic kein Marketingslogan, er hat das einfach an der Seitenlinie und abseits davon gelebt.
Nun endet diese Ära, die vor vier Jahren mit dem Trainingslager in Krajnska Gora begann. Dort waren wir mit die ersten, die ausführlich mit ihm sprachen, nun sind wir wohl die letzten, die kurz vor seinem Urlaub noch mal zurück schauen auf vier ereignisreiche Jahre, Bilanz ziehen, aber auch ein wenig den Menschen hinter dem Trainer kennen lernen. Berlin, Charlottenburg, Olivaer Platz, „home court“ für Sasa. Ein Serbe, ein Italiener, ein Deutscher, Ingwer-Tee, Apfelschorle, Kaffee … und auf geht’s …
Während wir uns im ersten Teil in erster Linie mit der aktuellen Situation und der Persönlichkeit von Sasa Obradovic beschäftigt haben, im zweiten Teil konkret auf die letzten vier Jahre bei Alba Berlin geschaut haben und Sasa Obradovic eine durchaus auch selbstkritische Bilanz gezogen hat, geht es nun im dritten Teil um seine Einschätzungen der BBL und der deutschen Nachwuchsligen sowie zur Entwicklung von Nachwuchsspielern wie Ismet Akpinar. Zudem beantwortet er ein paar Leserfragen.
Wie würdest du die deutsche BBL im Vergleich zu anderen europäischen Ligen einschätzen? Was ist typisch für die deutsche Liga, ist sie besonders physisch, besonders vom amerikanischen Stil geprägt?
Ja, sie ist sehr physisch. Wenn man sich den aktuellen Meister Bamberg ansieht, ist sie nicht besonders amerikanisch geprägt. Das ist typischer europäischer Basketball mit vielen Systemen, wo alle Spieler auf dem Feld mit einbezogen werden, immer wieder mit einem extra Pass. Das ist Basketball, so wie ich ihn mag. Generell hat sich die gesamte deutsche Liga, alle Teams, positiv in vielen Punkten entwickelt. Ich schaue ja viel in andere europäische Ligen und muss sagen, die deutsche Liga hat die italienische inzwischen überholt. Das war vor 10 oder 20 Jahren noch ganz anders, da war die italienische Liga eine der stärksten in Europa und der deutschen weit überlegen. Selbst Mailand haben wir in Berlin geschlagen. Man vergleicht sich immer mit anderen Ligen und da schneidet die deutsche Liga nicht schlecht ab. Die spanische ACB ist noch klar stärker, aber einen Vergleich mit den anderen Ligen muss die BBL nicht scheuen. Auch die Spitzenteams der griechischen Liga sind nicht mehr weit voraus, wir haben letztes Jahr bei Panathinaikos Athen gewonnen, Bamberg in diesem Jahr bei Olympiakos Piräus. Das ist ein Fingerzeig, wie es um die Qualität der BBL bestellt ist. Wir werden immer wettbewerbsfähiger in Europa und auch innerhalb der BBL wird der Wettbewerb immer größer. Der Trend geht absolut in die richtige Richtung.
Wichtig für den nationalen Wettbewerb sind die nationalen Spieler. Eines deiner erklärten Ziele war es, deutsche Spieler zu entwickeln und deren Rolle im Team zu stärken. Das ist gelungen, Alba war das Team mit den meisten Minuten für deutsche Spieler in der abgelaufenen Saison (Hauptrunde). Einer dieser Spieler war Ismet Akpinar. 2014/15 meintest du, er wäre noch nicht richtig bereit für die BBL, in der letzten Saison war er es offensichtlich. Wo siehst du die Gründe dafür, in welchen Bereichen hat er sich besonders entwickelt?
Das ist kein einfacher Prozess, sondern außerordentlich kompliziert, denn man muss sich in vielen Bereichen gleichzeitig verbessern. Es reicht nicht, einfach an seinem Wurf zu arbeiten. Man muss an seinem Wurf arbeiten, aber auch gleichzeitig an seiner Position auf dem Feld und seiner Position im Team. Bei Ismet ist noch nicht ganz klar, was seine Position ist, point guard oder shooting guard. Aber seine Arbeitsmoral ist unglaublich gut. Deshalb wurde er mit mehr Spielanteilen belohnt. Man muss eine Menge Zeit und Energie in der Trainingshalle investieren und es dauert eine ganze Weile, bis sich das auszahlt. Diese Zeit muss man als junger Spieler mental überstehen. Ein anderer Punkt ist Spielverständnis. Darüber mussten wir nicht viel reden, denn er ist ziemlich smart. Es gibt auch andere Spieler, die sind smart, aber spielen nicht smart. Ismet hat eine schnelle Auffassungsgabe, hat schnell begriffen, was ich von ihm will. Ich denke, Spielverständnis ist der Bereich, in dem er sich im letzten Jahr am meisten verbessert hat. Als er zu Alba kam, war er noch ein Junge mit schmalem Gesicht, inzwischen ist er zum Mann geworden. Das ist ebenfalls ein wichtiger Punkt des Gesamtpakets.
Das nächste Talent, das folgen könnte, ist Ferdinand Zylka …
Da ist Ismet Akpinar eigentlich ein „role model“, an dem sich Zylka ausrichten kann. Für Zylka gilt im Prinzip das Gleiche, was vor zwei Jahren für Akpinar galt. Es sind ziemlich die gleichen Dinge, an denen er arbeiten muss. Er muss ganz besonders noch physisch stärker werden, wenn er sich gegen Männer durchsetzen will.
Was hältst du generell vom deutschen Nachwuchsbasketball, von NBBL oder JBBL? Es macht den Eindruck, dass besonders offensiv starke Spieler stark „gepushed“ und gefördert werden, die Defense aber nur durchschnittlich ist. Dieser Eindruck entstand auch bei den Top4-Turnieren der NBBL und JBBL in den letzten Jahren.
Ich finde es nicht verkehrt, offensives Talent zu suchen. Offensive Leistungen kann man mit Training ein wenig verbessern, aber nicht besonders stark. Da hängt viel vom Talent ab, dass man einfach haben muss. Dieses Talent ist schwer zu finden. An der Defense kann man viel mehr arbeiten und Teams und einzelne Spieler in kurzer Zeit deutlich besser machen. Das geht in Bezug auf offensives Talent so nicht. Wer dieses Talent nicht hat, der hat es nicht und wird es vermutlich in seiner gesamten Karriere auch nicht mehr wesentlich verbessern können. Ein schlechter Passer wird nur ganz selten zu einem guten Passer werden, man kann ein wenig dazu lernen, aber es gibt bestimmte Limits. Zu viel kann ich aber nicht zu diesem Thema sagen, da ich nicht so sehr eingebunden war. Ich hatte so viel mit der ersten Mannschaft zu tun. Hauptsächlich hatte ich in der Vorbereitung mit den Talenten zu tun. Wenn die Jungs dann wieder zum Nachwuchsteam zurück gingen, waren sie in der Regel ein Stück weiter entwickelt, physisch stärker, hatten mehr Selbstvertrauen, darauf bin ich ein bisschen stolz. Zu viel kann und will ich zu dem Thema aber nicht sagen, das ist Sache der Trainer, die die Verantwortung dafür haben.
Wir haben noch ein paar Fragen unserer Leser für dich. Eine Frage war, ob du in der Offensive wirklich so oft den Ball inside haben wolltest, oder ob dies eher eine Anpassung an das vorhandene Spielermaterials war?
Es gibt ein paar Blogger die ganz viel über spacing schreiben (lächelt). Es ist lustig darüber zu lesen und davon zu hören. Niemand erwähnt dann das Vorjahr, wo wir fast das gleiche System hatten, bloß mit dem Unterschied, dass alles sehr gut funktioniert hat. Das Inside-Outside Spiel hat sehr gut funktioniert, wir haben tollen Basketball gespielt. Auch in Europa. Dieses Jahr lief es nicht so gut, das hängt natürlich auch mit dem vorhandenen Spielermaterial zusammen. Aber auch mit dem Coach, der den Spielern auch gewisse Freiheiten geben muss. Ich mag es eigentlich immer schnell spielen zu lassen. Aber dieser schnelle Basketball führte dieses Jahr statistisch oft zu Turnovern. Dann musste ich gucken, wo wir gewisse Qualitäten haben. Und Kikanovic war sehr zuverlässig. Natürlich hätten wir auch höheres Tempo spielen lassen können, man weiß aber nicht, was dann dabei rauskommt. Ich musste viel kompensieren, um es den Spielern einfacher zu machen. Am Ende hat es aber nicht wie erhofft funktioniert. Ich habe viel Vertrauen in mein System. Ich habe Leibenath zum Einzug ins Finale mit Ulm gratuliert, guckt was er mir geantwortet hat …
Sasa holt sein Handy raus und zeigt uns eine Nachricht von Thorsten Leibenath, der sich für die Glückwünsche bedankt und Sasas Offensivsystem lobt und als Vorbild für die Ulmer Spielweise sieht.
… das zeigt, dass es einen gewissen Respekt dafür gibt und das System Qualität hat, die auch gerne übernommen wird. Das macht mich auch stolz. Wenn jemand fragt, was die Idee meines Systems ist und dann steht jemand vor mir, der das nicht versteht, ist es sinnlos das zu erklären. Was mir am wichtigsten ist, ist zu gewinnen. Wenn man Siege holt, wird niemand an dir zweifeln. Wenn du verlierst, ist der Coach natürlich der erste Hauptschuldige (lacht). Die Balance zwischen Inside und Outside muss stimmen, das Tempo muss hoch sein. Manchmal muss dann Tempo heraus genommen werden, man muss ein Gefühl für den Rhythmus des Spiels entwickeln, wissen, was ein guter Wurf oder die richtige Entscheidung ist.
Kikanovic war die zuverlässigste Offensivoption. Wenn er den Ball in der richtigen Position am Brett hatte, hat er regelmäßig produziert. In den Playoffs hat Frankfurt Änderungen vorgenommen und Kikanovic aus seiner Komfort-Zone raus gehalten. Was kann man dann machen?
Würfe treffen (lacht). Das ist das Wichtigste. Beim Analysieren der Spiele habe ich gesagt, wir müssen nur die offenen Würfe treffen. Dann haben wir kein Problem. Das Gleiche wie bei Ludwigsburg, man muss die Würfe treffen. Ludwigsburg macht viel Druck, dann muss man ruhig bleiben und auf den Ball aufpassen. Bei Frankfurt muss man nachdenken und die richtige Entscheidung treffen. Und die offenen Würfe treffen. Das haben wir nicht getan. Ganz einfach. Das hat mit Erfahrung und auch mit Qualität zu tun. Das sind mehrere Faktoren die das beeinflussen, auch die fehlende Chemie im Team, wenn die Spieler ihre Rollen nicht klar kennen.
Ist es auch eine Frage von Erschöpfung?
Das ist nicht so einfach zu erklären. Das hängt auch vom Spielertyp ab und von der Qualität ab, manche können gut damit umgehen, andere nicht. Es ist das Gleiche, wie mit Druck. Manche spielen unter Druck besonders gut, andere besonders schlecht. Erschöpfung ist auch ein Faktor, aber einer von mehreren. Wie gesagt, Teamchemie ist ein weiterer wichtiger Faktor. Eine nicht klar geregelte Hierarchie ist ein Problem. Ich denke da z.B. an Ismet im Trainingscamp, der sich nicht so gut gefühlt und viel über seine Position im Team nachgedacht hat, nicht so viel über sein Spiel. Darunter kann das eigene Spiel und die Produktivität leiden. Statt ständig über die eigene Rolle nachzudenken, ist es besser, an die eigenen Stärken zu denken. Finde heraus, was deine Stärken sind, habe ich ihm gesagt, nimm deine Würfe, das ist deine Stärke. Finde einen Weg in deine „comfort zone“.
Ein Gedanke zu „Die BBL und junge Spieler … – Das große Obradovic-Abschieds-Interview, pt III“