Das große Ojeda-Interview (pt. VI): Nachwuchskonzepte national und international

Himar Ojeda mit ernstem Blick auf die Zahlen
Himar Ojeda mit ernstem Blick auf die Zahlen

Hier nun der letzte Teil unserer Interview-Reihe mit Alba Berlins Sportdirektor Himar Ojeda. In unseren Gesprächen lernten wir einen klugen und auf vielen Teilbereichen bewanderten Menschen kennen, der sich mit vielen Facetten des Basketballs beschäftigt und über viele Dinge aus eigener praktischer Arbeit reden kann. In Deutschland, in Spanien, in der NBA, in Europa und Amerika. Im nun letzten Teil möchten wir nochmals die so strategisch wichtige Nachwuchsarbeit beleuchten, wenn auch etwas globaler betrachtet. Zudem diskutieren wir über die Bedeutung von Wettbewerb im Nachwuchsbereich. Aber vorab noch mal die Zusammenfassung, was bisher geschah:

I: Vom Platzanweiser zum General Manager, Himar Ojeda persönlich
II: Die aktuelle Situation von Alba Berlin
III: Philosophieren über Basketball, Ojedas Vorstellungen über modernen Basketball
IV: Es wird global, FIBA vs Euroleague
V: Nachwuchskonzepte in Berlin und Deutschland 

Ist es vor dem Hintergrund, dass Sie Wettbewerb für sehr wichtig halten so, dass Sie ein geschlossenes System wie die NBA Development League nicht besonders mögen sondern eher „echte“ Ligen mit richtigem Wettbewerb, Kampf um Auf- und Abstieg bevorzugen?

Ja, ich denke, diese Erfahrungen sind wichtig. Ich bin aber nicht dafür, von oben herab zu bestimmen, dass z.B. keine Ausländer in der ProB spielen sollen. Wir sollten dahin kommen, dass die Teams von sich aus wollen, dass die ProB eine Ausbildungsliga ist. Wir können sie dabei unterstützen. Ein paar Regeln braucht man natürlich auch, wie z.B. 6 Deutsche im Kader bei der BBL, drei deutsche Spieler auf dem Feld in der ProB usw. aber eine natürliche, ungeschriebene Basketball-Regel sollte sein, junge Spieler zu fördern. Lasst sie einfach in der ProB spielen, schaffen wir die Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Aber wir sind auf einem ganz guten Weg. Die Erfolgsformel ist letztlich eine Mixtur aus mehreren Komponenten, dazu gehört genauso eine entsprechende Wettkampf- und Konkurrenzsituation. Wenn wir einen zweiten Porzingis finden, sollten wir ihn schon in diesen Ligen hier herholen. Das erhöht die Konkurrenz, die deutschen Talente müssen dann besser sein.

Zu allererst gucke ich darauf, was wir selbst besser machen können. Viele sagen, dass es keine oder nur wenig gute deutsche Talente geben würde. Aber das ändert sich, das ist nicht mehr ganz so. Die deutsche U18-Nationalmannschaft hat zum ersten Mal seit Ewigkeiten das renommierte Albert-Schweitzer-Turnier gewonnen. Auf diesem Weg müssen wir jetzt weiter gehen. Wir brauchen gute Trainer für die JBBL und NBBL, gute Trainer für die U12, wir müssen Trainer optimal ausbilden usw. Letztendlich brauchen wir nicht Unmengen an Regeln sondern harte Arbeit Tag für Tag. Dafür ist jeder verantwortlich, jeder in seinem Bereich. Die Clubs müssen in Jugendprogramme investieren, das machen noch nicht alle Clubs optimal.

Glauben Sie, dass jedes BBL-Team das Recht oder gar die Pflicht haben sollte, mit einem Team in der ProA oder ProB zu spielen?

Ich denke, das wäre sehr hilfreich. Aber das ist schwer zu erreichen. Manche BBL-Teams haben das Geld dafür, andere haben es nicht. Ob ProA, ProB oder Regionalliga weiß ich nicht genau, aber vom Grundsatz her würde es sehr helfen. Die Minimalanforderung ist, dass jedes BBL-Team ein Nachwuchsteam in den Nachwuchsligen hat, das ist aber zumindest der status quo. Da sind wir schon weiter und einheitlicher als in Spanien, wo es sehr unterschiedliche Modelle gibt. Baskonia [Laboral Kutxa Vitoria] hat überhaupt kein eigenes Jugendprogramm. Sie verpflichten junge Spieler und verleihen diese dann an alle möglichen anderen Clubs. So haben sie es mit Jose Calderon oder Luis Scola gemacht. Grundsätzlich respektiere ich jedes Modell, jeder hat seinen eigenen Weg, jeder seine eigene Philosophie. Zu unserer Philosophie gehört es, dass wir über 100 Trainer haben, über 3.000 Jugendliche erreichen. Wenn andere meinen, sie bräuchten überhaupt kein Jugendprogramm, ist das deren Sache, auch wenn ich der Meinung bin, es sollte Regeln für Nachwuchsprogramme geben. Wer nichts für die Entwicklung von Nachwuchs tut, kann sich auch nicht darüber beschweren, dass es zu wenige gute deutsche Spieler geben würde.

Noch eine Frage zu dieser genannten Lücke. In Spanien hat Ricky Rubio mit 14 Jahren sein erstes Spiel in der ACB gemacht, einige andere Spieler haben ebenfalls in sehr jungen Jahren dort schon gespielt. In Deutschland ist Ismet Akpinar mit 21 Jahren einer der jüngsten Spieler in der BBL, die 10+ Minuten spielen. Wie erklären Sie sich diese Unterschiede? Hat das mit der angesprochenen enormen Physis in der BBL zu tun?

Ricky Rubio war ein Sonderfall, Luka Doncic jetzt bei Real Madrid ist auch ein Sonderfall, aber es ist wahr, dass einige Talente mit 17, 18 Jahren bereits in der ACB spielen. Ja, ich denke, das hat viel mit der starken Physis in der BBL zu tun. Auch in der ACB hat es aber ein junger guard einfacher, als ein junger Frontcourtspieler. Wenn Ricky Rubio Center wäre, hätte er mit 16 auch noch nicht in der ACB spielen können. In der ACB werden die guards generell nicht so hart angegangen und es gibt auch eine Menge Respekt gegenüber solchen sehr jungen Spielern. Generell wird in Spanien auch eine sehr gute Arbeit im Nachwuchsbereich geleistet. Ein anderer Grund ist, dass die Nachwuchsliga ein Jahr länger dauert in Deutschland. In den meisten anderen Ländern endet der Nachwuchsbereich mit 18, in Deutschland mit 19. Das ist einerseits gut, da die jungen Spieler noch ein Jahr länger die Möglichkeit haben, landesweit viel zu spielen. Andererseits erschwert es die Situation für die JBBL-Spieler, die oft ein Jahr beim Übergang verlieren, denn der Unterschied zwischen 16 und 19 Jahre ist sehr, sehr groß. Wir sollten aber auch alle ein bisschen mehr Mut aufbringen und solche Spieler, die das Talent haben, einfach mal ins kalte Wasser werfen. Ismet [Akpinar] spielt 10+ Minuten, obwohl er erst 21 Jahre alt ist. Wir sollten das vorantreiben und fördern, dass junge Spieler früh in der BBL spielen, wenn sie die Möglichkeiten dafür mitbringen. Wenn die Spieler aber parallel in einer guten zweiten Liga wie ProA oder ProB spielen, gegen gute Gegenspieler, in einem harten Wettbewerb, dann wird es leichter für sie den Sprung nach oben zu schaffen. Aber die BBL ist auf einem guten Weg und ich glaube, dass es in Zukunft öfter passieren wird, dass junge Spieler früher das BBL-Niveau erreichen werden.

Einige aus der U18-Nationalmannschaft, die dieses Jahr beim Albert-Schweitzer-Turnier gespielt und gewonnen hat?

Ja, da waren einige dabei, die das Zeug dazu haben, Kostja Mushidi spielt ja sogar schon ein wenig in der ersten französischen Liga, andere können auch bald den Sprung schaffen. Wir sollten sie aber nicht dazu zwingen, wenn sie noch nicht bereit dafür sind, sondern es eher fördern, dass sie schnellstmöglich das nötige level erreichen. Wer wirklich gut ist, wird seinen Weg in die BBL finden und die Mentalität ändert sich auch ein wenig dahin, junge Spieler früh einzubinden.

Die ewige fast schon philosophische Frage: Gehen oder bleiben, College oder nationaler Wettbewerb? Von dem Team, das so erfolgreich das Albert-Schweitzer-Turnier gespielt hat, wird z.B. Richard Freudenberg ans College gehen und ist damit für die deutschen Ligen erst mal 4 Jahre weg. Andere Spieler vielleicht auch. Sie haben dort hervorragende Voraussetzungen, moderne Trainingsmöglichkeiten, jede Menge Coaches, gut besuchte Spiele, aber eben auf der anderen Seite spielen sie nur gegen Gleichaltrige und relativ wenige Spiele. Wenn sie in Deutschland bleiben, wäre das erwähnte Problem mit der „Lücke“. Was würden Sie einem jungen Spieler raten?

Hier in Deutschland gibt es eine große Vorliebe für den College-Weg. Das hat seine Wurzeln in der Vergangenheit. Früher hatten es junge deutsche Spieler sehr schwer, es in die BBL zu schaffen. Das waren die Zeiten mit 10 Amerikanern pro Team, aber auch später noch. Entsprechend gering war die Motivation, es zu versuchen, da war das College attraktiver, da es parallel noch eine Ausbildung geboten hat. In Spanien ist fast kein guter Spieler ans College gegangen. Es gab ein paar, die ans College gegangen und dann wieder zurück gekommen sind, um in der Liga zu spielen, aber das waren nicht die besten, die haben auch in der Liga nur mittelmäßig gespielt. Die wirklich guten spanischen Spieler, die, die jetzt in der NBA spielen, wollten nicht ans College gehen. Calderon, Ricky Rubio, die beiden Gasol Brüder und einige andere mehr, die waren alle nicht am College. Der jüngere Gasol war an der Highschool, weil die Familie in die USA gezogen ist, aber diese Zeit hat seiner Entwicklung nicht besonders gut getan.

Ans College zu gehen ist eine schöne Art, sein Leben zu gestalten, man kann Basketball mit einer Ausbildung verbinden, eine neue Sprache, eine andere Kultur kennenlernen, aber es ist meines Erachtens nicht der beste Weg, um ein professioneller Basketballer zu werden. Jedes College hat seine eigene Philosophie. Vier Jahre sind auch eine lange Zeit, in der viel passieren kann. Colleges befinden sich in einem Wettbewerb, die müssen Spiele gewinnen. Es kann gut sein, dass sie dir einen anderen Spieler vor die Nase setzen und du nur noch wenig oder gar nicht mehr spielst. Oder der Stil des Teams ändert sich total oder der Coach geht weg. Wenn du die Chance hast, in Europa Profi zu werden und der Verein setzt langfristig auf dich als Projekt, dann ist es besser diesen Weg zu gehen. Wenn du dir noch nicht sicher bist, ob Basketball das ist, wovon du mal leben möchtest, andere Eindrücke erleben, eine andere Sprache lernen willst, dann ist College eine gute Option. Wenn du auf das richtige College gehst. Es gab auch noch Sonderwege; Sabonis war für ein Jahr in Gonzaga, davor war er schon professioneller Basketballer in Malaga und ist dann von dort aus in die NBA gegangen, aber dieser Weg ist ja heute aufgrund veränderter Regularien eh nicht mehr möglich. Es ist nicht besonders schwer, für irgend ein College ein Stipendium zu bekommen, aber wie gesagt, es ist nicht leicht, das richtige College zu finden. Es gibt über 500 NCAA Colleges auf drei levels (NCAA I – III). Die betrachten die Europäer so ähnlich, wie wir die Amerikaner, als Europäer auf dem College musst du besonders gut sein. Du kannst an eine wirklich gute Schule geraten, die dann trotzdem nicht zu deiner Art Basketball zu spielen passt. Inzwischen gibt es in Europa auch gute Programme, viele Clubs, die junge Spieler gut ausbilden und sie vernünftig einsetzen. Wer sicher ist, dass er professioneller Basketballer werden will, sollte sich meiner Meinung nach eher für so ein Programm entscheiden. Wir als Alba Berlin müssen nachweisen, dass wir junge Spieler entwickeln können – und genau das machen wir!

Aber ist der Weg über das College nicht wichtig, wenn man den Traum von der NBA hat, weil man dort mehr im Fokus der NBA Clubs steht?

Die NBA findet immer mehr Gefallen an europäischen Spielern und mehr und mehr europäische Spieler finden ihren Weg in die NBA. Es gibt Leute, die sagen, die NBA wäre kein richtiger Basketball usw., das halte ich für Quatsch, ich liebe die NBA, habe für sie gearbeitet und gesehen, mit wie viel Professionalität sie dort ans Werk gehen. Aber die Spielweise unterscheidet sich deutlich von der in Europa. Der Basketball lebt mehr von individuellen Aktionen, die Regeln sind anders, es ist einfach ein unterschiedliches Konzept, nicht besser oder schlechter. In der NBA mögen sie aber, wie die europäischen Spieler ausgebildet werden, die bringen viel Spielverständnis mit, wenn sie in die NBA kommen. Eines der erfolgreichsten Teams der NBA sind die San Antonio Spurs und die haben die europäische Spielweise stark adaptiert, die spielen sehr ähnlich wie ein europäisches Team. Die Ausbildung in Europa und in den USA unterscheidet sich recht deutlich, auch am College. Wenn man ans College geht, wird man vermutlich physisch stärker zurück kommen, aber die Art Basketball zu spielen, wird nicht die gleiche sein, die ein Spieler hat, der hier aufgewachsen ist und ausgebildet wurde. Wenn du es hier in Europa schaffst, dann bleibe besser hier, denn hier erlernst du diese europäische Spielweise, die von den Amerikanern so geschätzt wird.

2 Gedanken zu „Das große Ojeda-Interview (pt. VI): Nachwuchskonzepte national und international“

  1. Vielen Dank an alle, die die Interviews mit Himar Ojeda vorbereitet und durchgeführt haben. Eine sehr interessante Serie!
    Ich freue mich sehr, dass Alba mit dem neuen Sportdirektor so einen hoch kompetenten, eloquenten und erfahrenen Basketballinsider gewinnen konnte. Beim Saisonabschluss hatte ich die Möglichkeit, ihm lange zuzuhören (bei „Privatgesprächen“) und auch selbst ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Und dabei habe ich festgestellt, er ist obendrein auch noch ein wirklich höflicher und sehr netter Mensch!

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