
Unsere Interview-Reihe mit Alba Berlins Sportdirektor Himar Ojeda biegt auf die Zielgerade ein, aber zwei Teile haben wir noch, die sich hauptsächlich mit dem Nachwuchs in Berlin, Deutschland, Europa und der Welt beschäftigt sowie der Frage welche Modelle, Wege, Möglichkeiten es gibt, diesen optimal zu fördern. Im ersten Teil geht es dabei vornehmlich um den Berliner und deutschen Nachwuchs. Aber vorab noch mal die Zusammenfassung, was bisher geschah:
I: Vom Platzanweiser zum General Manager, Himar Ojeda persönlich
II: Die aktuelle Situation von Alba Berlin
III: Philosophieren über Basketball, Ojedas Vorstellungen über modernen Basketball
IV: Es wird global, FIBA vs Euroleague
Sie meinten einmal, Sie möchten Talente zu Stars entwickeln. Denken Sie dabei – auch vor dem Hintergrund der 6+6-Regel in Deutschland – in erster Linie an deutsche Talente oder könnten das auch junge internationale Spieler sein?
Ich denke dabei zuerst daran, Berliner Talente zu entwickeln, auch deutsche Talente, aber auch internationale Talente. In dieser Reihenfolge. Wir bewegen uns in einer globalen Basketball-Welt, in einem globalen Spielermarkt. Wir müssen überall unsere Chancen suchen. Wenn wir uns nur auf die Spieler konzentrieren, die im Umkreis von 100 m um die Max-Schmeling-Halle herum wohnen, werden uns definitiv interessante Spieler durchs Netz gehen. Das Gleiche, wenn wir uns nur auf Berliner oder nur auf deutsche Spieler beschränken. Es ist ein globaler Markt und diesen müssen wir beobachten. Aber selbstverständlich sind wir ein Team aus der Stadt Berlin und wollen Spieler aus unserer Stadt entwickeln. Das auf jeden Fall, aber nicht ausschließlich. Unser Fokus liegt vorrangig auf den eigenen Spielern, aber wenn wir ein sehr großes Talent entdecken, das Fähigkeiten mitbringt, die wir vor Ort nicht haben, kommt dieses natürlich auch in Frage. Wir können natürlich nicht jede Saison 12 Spieler entwickeln, wir brauchen auch etwas Erfahrung im Team, aber eines unserer erklärten strategischen Ziele ist es, junge Spieler zu entwickeln. Dabei geht es uns nicht nur um basketballerische Fähigkeiten. Wir möchten nicht einfach nur professionelle Basketballer, sondern dass die jungen Spieler zu Persönlichkeiten reifen und glauben an die positiven Werte und Einflüsse, die Basketball dabei haben kann, wie gegenseitiges Vertrauen, Zusammenhalt, Gemeinschaftssinn, Empathie, Willensstärke, Zielstrebigkeit. Selbst jene Spieler, die letztlich nicht das Zeug zum professionellen Basketballer haben, sollen sich zumindest als Persönlichkeit durch Basketball und Alba positiv entwickeln. Jene, die die Voraussetzungen zum Profi haben, die möchten wir nach Möglichkeit so entwickeln, dass sie einmal in der BBL spielen können, am allerliebsten für Alba Berlin.
Sie erwähnten gerade, dass wir uns in einem weltweiten Markt bewegen, auf der anderen Seite gibt es in Deutschland Einschränkungen durch die sog. 6+6-Regel, sechs deutsche und sechs ausländische Spieler im 12er Kader. Wie passt das zusammen und was halten Sie von dieser Regelung? Mögen Sie diese?
Ja, ja, ich finde diese Regelung gut und sie ist viel klarer, als die Regelungen, die es in Spanien dazu gibt mit einer bestimmten Anzahl Amerikanern, einer bestimmten Anzahl Europäern, einer bestimmten Anzahl Spaniern. Dort kommt es immer wieder zu kreativen Regelungen in einer Grauzone. Die Regelung hier in Deutschland ist ganz klar und eindeutig; sechs Deutsche, sechs Ausländer, egal woher, Punkt. Ich finde es logisch, solch eine Regelung zu haben.
Jeder mag Spieler, die aus der eigenen Umgebung, aus der eigenen Jugend kommen. Sie haben den Vorteil, dass sie den Verein, die Stadt, die Kultur usw. kennen. Auch finanziell haben diese Spieler den Vorteil, dass sie nicht unbedingt ein Haus oder Auto brauchen. Die Zuschauer identifizieren sich mehr mit solchen Spielern. Wir wollen wirklich deutsche Spieler und den deutschen Basketball entwickeln, aber wenn wir die Chance hätten, einen zweiten Porziņģis* zu verpflichten, wären wir dumm, da nein zu sagen. [* – Kristaps Porziņģis (20), 2,21 m, lettischer Nationalspieler, #4 Draft Pick NY Knicks, NBA rookie of the month, NBA rookie allstar, Topscorer Rising Star Challenge uam. wurde durch Ojedas Agentur YouFirst Sports entdeckt] Sollen wir da Nein sagen, nur weil er kein Deutscher ist? Wir würden liebend gern einen zweiten Nowitzki entdecken, das wäre noch besser, aber wenn nicht, dann gern auch den nächsten Porziņģis. Bei Gran Canaria hatte ich einen Spieler, der dort 10 Jahre gespielt hat. Er kam als junger Spieler, es war seine erste Profistation, nach 10 Jahren hat er dort seine Karriere beendet ohne jemals eine einzige Sekunde bei einem anderen Verein gespielt zu haben. Das war Jim Moran, der heute Assistenztrainer bei den Portland Trailblazers in der NBA ist. Die Fans haben ihn über alles geliebt. Er ist der einzige Spieler, dessen Trikot in Gran Canaria jemals „retired“ und unter die Hallendecke gehängt wurde. Es hat niemanden gestört, dass er kein Canario, nicht mal Spanier, war. Er ist im Verein aufgewachsen, war in der Stadt verwurzelt und mit den Menschen verbunden. Das ist ein Beispiel dafür, dass sich ein globaler Markt und ein lokaler Bezug miteinander verbinden lassen.
Das sind allerdings Sonderfälle, Vorrang haben schon deutsche Spieler. Diese wollen wir in einer Breite entwickeln, dass wir keine Probleme mit der 6+6-Regel bekommen, nicht zählen müssen, sondern immer genug Spieler in unserem eigenen Programm vorhanden sind. Dafür müssen wir aber auch global denken, an alle deutschen Basketballspieler weltweit, die in Deutschland und – natürlich – die direkt vor der Haustür! Für die Führung der ACB habe ich vor einigen Jahren eine Studie über junge Spieler erstellt, die es in die ACB geschafft haben. Ein paar dieser Beispiele für solche Spieler, die es zu jener Zeit bis an die Spitze der ACB geschafft haben, waren z.B. in Malaga German Gabriel, Carlos Cabezas und Bernie Rodriguez. Alle drei Jahrgang 1980, alle drei Nationalspieler, alle drei geboren oder seit der Jugend in Malaga. Derjenige, der es in Valencia bis an die Spitze geschafft hat, war Victor Claver – aus Valencia! Bei Gran Canaria war es Oscar Alvarado von Gran Canaria, bei Badalona waren es Rudy Fernández, Ricky Rubio und Pau Ribas. Pau Ribas ist dort geboren, Ricky Rubio ist aus El Masnou, das ist nur 10 km weg und Rudy ist von Mallorca, das ist die gleiche Sprache, katalanisch, die gleiche Kultur und auch nur gut 200 km weg. Worauf ich hinaus will und was diese Studie gezeigt hat war, dass Spieler zwar immer hin und her wechseln, aber die, die es bis an die Spitze schaffen, sehr oft direkt aus der Region kommen. Woran das ganz genau liegt, sollte die Studie nicht nachweisen, aber ich denke, es hat viel damit zu tun, dass man in der Heimat ein gewohntes Umfeld hat, Familie, Freunde usw., sich wahrscheinlich wohler fühlt und deshalb bessere Leistungen bringen kann. Ausnahmen davon sind einige internationale Spitzenspieler bei den Topclubs wie Walter Tavares (Kapverden) bei Gran Canaria oder Augusto Lima (Brasilien) in Malaga, die es auch fern der Heimat als junge Spieler auf das höchste level geschafft haben. Aber in der Regel setzen sich junge Spieler eher in ihrer Heimat und in ihrem gewohnten Umfeld durch. Deshalb glaube ich, dass es leichter ist, junge deutsche, Berliner, Spieler zu entwickeln.
Nachwuchsbasketball scheint Ihnen sehr am Herzen zu liegen. Auf welche Weise erfolgt die Entwicklung von Talenten in Spanien, wie unterscheidet sich das von den Programmen in Deutschland und gibt es dort auch solche landesweiten Nachwuchsligen wie JBBL und NBBL in Deutschland?
In Spanien gibt es dazu eine Vereinbarung zwischen der ACB und dem spanischen Verband. Die ACB kümmert sich ausschließlich um den Profi-Bereich und kann in dieser Hinsicht gar nichts machen. Die ACB wollte auch einmal so etwas ähnliches organisieren wie die NBBL oder JBBL oder das Championnat Espoirs in Frankreich. Beim Championnat Espoirs ist es de facto so, dass die zweite Mannschaft eines jeden Pro-Teams immer direkt vor den Profis spielt. Also auf Deutschland umgesetzt wäre das so, dass wenn Alba nach Bamberg fahren würde, dann die zweite Mannschaft mitkommen und drei Stunden vor den Profis gegen die zweite Mannschaft von Bamberg spielen würde. Die ACB konnte sich mit dieser Idee aber nicht durchsetzen, denn der Verband wollte das nicht. Es liegt alles in den Händen des Verbands.
Es gibt Bestrebungen, im Nachwuchsbereich in Deutschland etwas zu ändern, das ist ein Projekt, noch in der Entwicklung, wir befinden uns in Gesprächen, aber jetzt ist noch nicht der richtige Zeitpunkt, konkret darüber zu reden. Es kann eine Menge im Basketball in Deutschland ändern und viele Manager hier denken zu dem Thema so wie wir. Ich mag die Nachwuchsligen wie NBBL und JBBL sehr, aber eine Sache ist kompliziert. Die Spieler können für verschiedene Teams mit verschiedenen Lizenzen spielen, NBBL beim einen, ProB beim anderen und ProA beim dritten. Das wirkt ein wenig unübersichtlich und erschwert meines Erachtens auch ein wenig die Identifikation. Das größte Problem in Deutschland ist für mich allerdings die große Lücke zwischen Nachwuchs- und professionellem Basketball. Die NBBL ist für mich die höchste Liga im Nachwuchsbereich, danach gibt es dann einen großen Abstand zu den Profis. Mal abgesehen von ein paar Ausnahmen braucht ein Jugendlicher nach der NBBL ca. 3 bis 4 Jahre, bis er einem BBL-Team helfen kann. Ismet Akpinar hat sich schnell entwickelt, ein paar andere Spieler auch, aber allgemein dauert es diese Zeit, bis ein junger Spieler den Sprung in die BBL schafft. Für diese Zeit der Überbrückung kommt die ProA oder – okay, ein wenig schwächer – die ProB in Frage. Idealerweise sollten diese beiden Ligen ganz konsequent die Entwicklung junger deutscher Spieler als Ziel haben. Ideal wäre, wenn es in diesen Ligen nur junge, deutsche Spieler geben würde, keine Ausländer, keine alten Spieler. Aber das ist ein wenig realitätsfremd. Es gibt viele Standorte in der ProA und ProB, wo dieses Team die erste Mannschaft ist, Standorte, die sich für die BBL qualifizieren wollen. Das muss man natürlich in die Überlegungen mit einbeziehen. Wahrscheinlich kann es nicht nur eine professionelle Liga geben, es müssen auch die erfahrenen deutschen Spieler spielen können, die es nicht in die BBL schaffen, aber vielleicht braucht man nicht unbedingt Ausländer in diesen Ligen. Oder zumindest weniger.
Auf der anderen Seite soll es auch nicht so sein, dass deutsche Spieler einen „Freifahrtschein“ bekommen, nur weil sie Deutsche sind. Wettbewerb ist enorm wichtig. Diese Ansätze gab es in Spanien in der Vergangenheit, wo Spieler glaubten, nur weil sie Spanier waren und die Clubs Spanier brauchten, hätten sie ihren Platz sicher. Aber so kann es nicht funktionieren! Wenn einer besser ist, soll der spielen, nicht, weil er Spanier ist. Das ist professioneller Basketball, das sind Kapitalgesellschaften. Wenn der Litauer billiger und besser ist, warum nicht der? Der Spanier muss einfach besser sein und sich bemühen, besser zu werden, sonst hat er keine Chance. Für Deutsche gilt das genauso. Das ProA level ist für viele Spieler direkt nach der NBBL sehr hoch, auch kann diese von der Struktur her kaum eine Ausbildungsliga sein, dort geht es um den Aufstieg in die BBL. Aber die ProB sollte das umso mehr sein. Grundsätzlich sollte es kein Problem für junge Spieler sein, sich direkt nach der NBBL drei, vier Jahre in der ProB und ProA zu entwickeln. Wir sollten unseren Fokus, unsere Energie, darauf richten, dass diese Ligen optimal darauf ausgerichtet sind, Spieler zu fördern, damit sie bestmöglich das BBL level erreichen. Fördern ja, aber auf jeden Fall mit knallhartem Wettbewerb, wenn immer du dich durchsetzen musst, ist das gut für deine Entwicklung. Wir hatten in Spanien auch viele Diskussionen darüber, dass die Teams zu viele afrikanische Spieler, Spieler aus den sog. Cotonou-Staaten oder Amerikaner verpflichten würden und dass das der spanischen Nationalmannschaft schaden würde. Aber Spanien war Weltmeister und Olympiazweiter und ist amtierender Europameister! Warum? Navarro ist nur so gut wie er ist, weil er sich im harten Wettbewerb gegen sehr gute Gegenspieler durchsetzen musste. Alles in allem finde ich die 6+6 Regel in Deutschland gut und ausgewogen, ein gutes Verhältnis zwischen Förderung und Wettbewerb.
Ein Gedanke zu „Das große Ojeda-Interview (pt. V): Nachwuchsförderung bei Alba und in Deutschland“