Das große Ojeda-Interview (pt. III): Philosophieren über Basketball

men at work: Ojeda und Baldi in der MBA
men at work: Ojeda und Baldi in der MBA

In den ersten beiden Teilen unserer Interview-Reihe mit Alba Berlins Spordirektor Himar Ojeda (43) hatten wir zunächst die Person Ojeda näher vorgestellt sowie die aktuelle Situation von Alba kurz vor den Playoffs gegen die Fraport Skyliners beleucht. Im dritten Teil geht es ins Grundsätzliche, um generelle Vorstellungen von Basketball, Basketball-Philosophien ganz allgemein sowie wie diese in die Arbeit des Sportdirektors z.B. bei der Teamzusammenstellung bei Alba Berlin  einfließt.

Für die aktuelle Saison ist ein Teil Ihres Jobs – die Teamzusammenstellung – längst getan, Sie denken sicher schon intensiv an das nächste Jahr bzw. an die nächsten Jahre. Wie schwierig ist das, wenn Sie noch nicht mal wissen, wer der Coach in der kommenden Saison sein wird?

Langfristig geht es darum eine eigene Identität des Vereins zu entwickeln bzw. weiter zu entwickeln. Wir wollen so wettbewerbsfähig wie möglich sein, aber auch parallel Spieler entwickeln, besonders Spieler aus unserem eigenen Jugendprogramm. Das wollen wir unbedingt und wir wollen die Schritte einleiten, die notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn Klarheit über diesen grundsätzlichen Rahmen besteht, kann man sich daran machen, ein entsprechendes Team zusammenzustellen, von dem wir glauben, dass es unsere Ziele erreichen kann. Aber nicht nur das Team zu bauen, sondern auch alle anderen Teile so miteinander zu verbinden, dass sie ins Gesamtkonzept passen, d.h. das Jugendprogramm einzubinden, die richtigen Coaches zu finden, das Training der einzelnen Teams aufeinander abzustimmen usw. Einfach alles so miteinander zu verbinden, dass es ein großes Ganzes ergibt. Aber klar, an erster Stelle steht das Profi-Team. Ich bin nicht besorgt oder nervös, weil ich noch nicht weiß, welcher Spieler bleibt und wer der Coach sein wird. In Spanien ist es so – und ich denke, hier wird es sich auch so entwickeln -, dass das alles keine besondere Eile hat. Gerade im Sommer sollte man sich Zeit lassen. Hier ist es so, dass es einen großen Druck gibt, gerade deutsche Spieler zu verpflichten, am besten noch vor dem Ende der alten Saison. Ich erinnere mich, als ich das erste mal hier war im Juni oder sogar noch früher, irgendwann während der Finals um den Coach kennenzulernen, waren schon fast alle Entscheidungen gefallen, das Team stand schon. Ich meinte scherzhaft „Du kannst bis August in den Urlaub gehen“ (lacht). Das ist unglaublich, so etwas gibt es in Spanien nicht. Ich denke, da kann es passieren, dass man zu viel bezahlt, wenn man die Spieler zu früh verpflichtet. Ich halte es auch nicht für besonders fair. Man sollte erst einmal eine Sache, eine Saison, zu Ende bringen und dann die Entscheidungen für die neue treffen. Das ist fair für alle, die Spieler, die Clubs, das Geschäft im Allgemeinen. Ich halte nicht viel davon, mitten in der Saison Personalentscheidungen zu treffen. Aktuell haben wir eine besondere Situation, da ich erst mitten in der Saison gekommen bin. Ich brauche Zeit, um mir einen Überblick zu verschaffen, alles kennenzulernen, der Club muss mich kennenlernen, wir uns alle gegenseitig. Das ist logisch. In diesem Jahr werden wir uns – nicht nur deshalb – Zeit lassen mit den Entscheidungen.

Angenommen, es wird einen neuen Coach geben, wird sich der Coach eher daran anpassen müssen, welche Spieler schon da sind oder kann er seine eigenen Spieler mitbringen?

Ich bin der Sportdirektor, das ist eine Position, die in Deutschland nicht besonders verbreitet ist. Nicht alle Clubs in Deutschland haben einen Sportdirektor, vielleicht drei oder vier. Es gibt Unterschiede zwischen einem Sportdirektor und einem Scout. Ein Scout beobachtet Spieler, erstellt Reports und irgend jemand entscheidet dann auf dieser Grundlage. Ein Sportdirektor bestimmt, welche Spielertypen man verpflichten möchte, welche Spieler zur Vereinsphilosophie, zur Stadt, zu den Mitspielern und zum Coach passen. Wenn es bereits einen Coach gibt, ist das die Aufgabe des Sportdirektors. Idealerweise mit dem Coach zusammen. Der Coach hat Tag für Tag mit den Spielern zu tun und versucht das Beste aus ihnen herauszuholen. Wenn der Coach der Meinung ist, das mit einem bestimmten Spieler nicht erreichen zu können, werden wir diesen Spieler nicht verpflichten. Diese Arbeit mache ich immer mit dem Coach zusammen, ich gebe dabei meine Empfehlungen ab. Manchmal in der Vergangenheit wollte schon mal ein Coach einen bestimmten Spieler besonders „pushen“, aber am Ende haben wir immer eine gemeinsame Lösung gefunden. Das passiert alles in sehr enger Abstimmung mit dem Coach, der muss jeden Tag mit den Spielern zusammen arbeiten. Er kann aber nicht einfach einen Spieler verpflichten, wie er möchte, die letzte Entscheidung treffe ich. Aber wie gesagt, das geht nur gemeinsam.

Ein Problem im europäischen Basketball, besonders in Deutschland, ist die hohe Fluktuation bei den Spielern, viele bleiben nur für eine Saison. Sehen Sie das auch als kritisch an?

Es ist eines unserer Ziele, in Zukunft einen Kern an Spielern längerfristig an uns zu binden. In der Vergangenheit – ich kann da hauptsächlich über Spanien sprechen, aber in Deutschland war es sicherlich nicht viel anders – gab es viele Spieler, die sieben oder mehr Jahre bei einem einzigen Verein geblieben sind. In Spanien gibt es aktuell die Diskussion, dass die Identifikation mit den Teams verloren geht, weil die Spieler jedes Jahr wechseln. Das ist Teil einer globalen Entwicklung. Wie kann man das ändern? Eine Möglichkeit ist, die eigenen Jugendspieler zu entwickeln. Diese werden dann längerfristig beim Verein bleiben. Früher haben deutsche Spieler fast ausschließlich innerhalb Deutschlands gewechselt, entweder wegen eines außergewöhnlich guten finanziellen Angebots oder wegen einer besonderen Verbesserung der persönlichen Situation. Das passierte nicht so häufig. Heutzutage hat ein guter Spieler die Auswahl zwischen Deutschland, Spanien, der Türkei, der NBA oder sonstwo. Mehr Möglichkeiten, mehr Wechsel. Es ist ein bisschen romantisch, zu erwarten, dass man einen Kern an Spielern für zehn Jahre zusammenhalten kann, aber wir wollen erreichen, dass sie länger bleiben, als jetzt. Es gibt noch ein Problem für Alba, dafür muss man an die letzte Saison zurück denken. Reggie Redding ging in die Türkei, Alex Renfroe zu Bayern München, Jamel McLean nach Mailand. Das macht es natürlich schwer, einen Kern an Spielern zusammen zu halten, denn wir können finanziell mit den Angeboten nicht mithalten, die diese Spieler bekommen haben. Wir müssen solche Spieler verpflichten, wenn sie noch nicht solche Angebote von der Konkurrenz bekommen. Was ich während meiner Zeit auf Gran Canaria gelernt habe ist, dass man es nicht unbedingt ändern kann und trotzdem kann man zufrieden sein, wenn man Spieler auf ein höheres level gebracht hat. Wenn die Spieler das Dreifache oder so geboten bekommen, dann sind sie weg, das kann man nicht verhindern und das ist auch nicht wirklich ein Problem. Was wir schaffen wollen und müssen, ist ein Klima zu schaffen, dass sie bei besseren, aber nicht dramatisch besseren Angeboten trotzdem bei uns bleiben. Auf der anderen Seite wollen wir auch wachsen, mehr Sponsoren akquirieren. Wenn wir unser Budget erhöhen, kommen wir auch seltener in Situationen, dass Spieler wegen besserer Angebote gehen, sondern können selbst bessere Angebote unterbreiten. Und ein paar Spieler haben wir ja schon für die nächste Saison unter Vertrag, Ismet Akpinar, den jungen Robert Glöckner, Niels Giffey, Milosavljevic, Kikanovic … wir müssen nicht bei Null beginnen. Wir müssen sehen, mit wem wir noch weiter machen können.

Sie haben ja auch mal als Coach gearbeitet. Mal angenommen, Sie wären der Coach, hätten ein bestimmtes Budget, welcher Spielstil, welche Basketball-Philosophie würde am ehesten Ihren Vorstellungen entsprechen?

Ich mag es Defense zu spielen, auch hart, aber nicht zu physisch. Es geht mehr um Antizipation. Normalerweise agiert das angreifende Team, das verteidigende reagiert. Das habe ich zu den Zeiten, als ich als head coach dafür verantwortlich war, versucht, ein wenig umzudrehen. Wenn ich dem Angreifer von mehreren Optionen nur noch eine lasse, weiß ich recht genau, was er tun wird. Wenn ich reagiere, abwarte, kann der Angreifer alles Mögliche machen, werfen, passen, zum Korb ziehen, links, rechts usw. usf. Ich habe keine Kontrolle über das Spiel, aber genau das möchte ich. Ich kann der gegnerischen Offensive nicht alle Optionen wegnehmen, aber die meisten. Zum Beispiel lasse ich ihm die Möglichkeit über rechts zu ziehen, nicht zu werfen, nicht zu passen, nicht über links zu gehen. Dann kann ich gut einschätzen, was passiert und habe Kontrolle darüber. Das hat nicht so viel mit starker Physis zu tun, sondern mit sehr gut organisierter Teamdefense. Ich mag das sehr und denke, das macht das Spiel insgesamt attraktiver.

In der Offensive .. tja, da wollen irgendwie alle Trainer das Gleiche … schnelles Spiel, leichte Körbe. Ich mag gutes, ausgeklügeltes Passspiel. In Gran Canaria haben wir so ein Passspiel aufgezogen, viel Bewegung und eine gute Balance zwischen inside und outside. Attackieren, passen, attackieren, passen.

Wie sehr bringen Sie Ihre eigene Basketball-Philosophie mit ein, wenn Sie ein neues Team zusammenstellen?

Wichtiger als meine Philosophie sind die Vorstellungen des Clubs. Wie diese umgesetzt werden, darauf habe ich natürlich Einfluss, indem ich die Spieler und Trainer verpflichte, die dazu passen. Ich habe ja zum Beispiel meine Vorstellungen, was einen guten Aufbauspieler ausmacht und würde bevorzugt einen solchen Spieler verpflichten, wenn sich das mit der Vereinsphilosophie deckt.

Ich bin dicht am Coach, unterhalte mich viel mit ihm über Basketball, auch über Strategien und Philosophien. Ich rede mit dem Coach, aber ich bin nicht der Coach! In seine direkte Arbeit rede ich ihm nicht rein, nicht im Detail, aber vom Grundsatz her ist dessen Arbeit natürlich auch durch die Vereinsphilosophie geprägt.

Im vierten Teil unserer Interview-Reihe geht es um Entwicklungen im europäischen Basketball und die aktuellen Probleme zwischen der FIBA und der Euroleague bei der Organisation der europäischen Vereinswettbewerbe.

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