
Es ist einer dieser typischen Apriltage, an denen sich innerhalb von wenigen Minuten Sonne, Wolken und Regen abwechseln. An jenem Apriltag treffen wir uns mit Himar Ojeda, Sportdirektor, Alba Berlin. Seit einigen Wochen eine der Schlüsselpersonen beim Berliner Basketballverein, ausgestattet mit viel Verantwortung und Befugnissen sowie der großen Aufgabe, den Traditionsclub wieder an die Spitze zu führen. Beim 43jährigen laufen viele Fäden zusammen. Wir laufen auch. Zunächst zum „nibs cacao“, berühmt für das spanische Nationalgericht „churros con chocolate“, das hat für Ojeda heimatliches Flair. Einerseits ist er Kosmopolit, viel in der Welt herum gekommen, andererseits ist er aber vor allem Canario! Von Geburt, von ganzem Herzen, aus Überzeugung. Wir wollen vor allem reden! Noch nicht auf deutsch – Ojeda fängt gerade erst mit seinem Deutschunterricht an -, ein paar Sätze auf spanisch, dann Englisch, die Welt-Basketballsprache. Wer so viel erlebt hat, hat eine Menge zu erzählen, wir wollen eine Menge wissen, die Themen sind so vielfältig wie das Wetter an jenem Tag im April. Der Mensch Himar Ojeda, seine Aufgaben bei Alba Berlin, die aktuelle sportliche Situation, die kommende Saison, Trends im europäischen Basketball, Strategien, Konzepte, Entwicklungen, Nachwuchs, Berlin, Gran Canaria, Madrid, Atlanta … so vergehen die Stunden. Das alles haben wir in dieser mehrteiligen Interviewreihe mit Albas Sportdirektor zusammengefasst.
Herr Ojeda, Sie sind seit gut zwei Monaten in Berlin, haben Sie bereits eine tägliche Routine entwickelt, oder gibt es noch viel Neues für Sie?
Vor zwei Wochen habe ich endlich eine Wohnung gefunden, das hilft mir ein bisschen bei der Routine. Davor war ich im Hotel, das war sehr gut. Es ist aber nicht das Gleiche wie eine Wohnung. Gerade als ich meine Wohnung bekommen hatte, musste ich allerdings zum Portsmouth-Turnier in Amerika, danach hatte ich hier einen Workshop. Von täglicher Routine kann ich also noch nicht sprechen. Aber ich fühle mich hier wohl, ich muss sagen ich liebe die Stadt.
Sie haben sich also schon ein wenig akklimatisiert?
Ja, das war sehr einfach. Bevor ich zu Alba gewechselt bin, hatte ich Berlin schon einige Male besucht. Ich mag die Stadt und die Atmosphäre hier, das gilt auch generell für Deutschland. Zum Leben ist das Land eine sehr gute Option. Berlin ist aber etwas Besonderes. Ich hab mich schnell eingelebt, in der Stadt kann man sich gut bewegen. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind gut, man kann mit dem Fahrrad fahren. Ich sehe viele Leute auf Fahrrädern, ich vermute das ist ein Grund, weshalb man nicht so oft Staus sieht. Ich habe jetzt endlich mein Fahrrad aus Gran Canaria herbekommen und kann damit fahren.
Sie nutzen also lieber das Fahrrad, als das Auto?
Ja, durchaus. Hier fahre ich gerne, das hängt aber auch vom Wetter ab. Ich lebe in Prenzlauer Berg, zur Geschäftsstelle ist das eine recht lange Strecke. Da fahre ich dann doch lieber mit dem Auto.
Wird Ihre Familie im Sommer auch noch herziehen?
Meine Familie kommt jetzt für ein paar Tage zu Besuch, im Sommer ziehen sie dann hierher. Da ich mitten in der Saison nach Berlin gekommen bin, müssen wir noch abwarten. Die Kinder sind mitten im Schuljahr. Außerdem möchte ich mich erst einmal hier auf die Arbeit konzentrieren, alles kennen lernen etc. Jetzt alleine zu sein gibt mir etwas mehr Zeit dafür. Aber ich vermisse meine Familie.
Reisen ist ja offensichtlich ein sehr wichtiger Teil Ihrer Arbeit …
Ja. Ich bin davon überzeugt, dass man die Spieler mit eigenen Augen sehen sollte. Sofern das möglich ist, sollte man die Spieler ‚live‘ sehen, ein Gespür für sie kriegen, nicht nur aus Videos. Das habe ich in der Vergangenheit immer so gemacht, als es darum ging, Spieler zu verpflichten.
Bei Videos wird ja auch gerne mal „geschummelt“, die Schwächen eines Spielers werden dort nicht gezeigt etc. …
Wenn immer ein großes Unternehmen einen Angestellten unter Vertrag nimmt, muss er sich vorher mindestens einmal interviewen lassen, normalerweise sogar öfter. Sport ist natürlich noch etwas anderes, aber im Endeffekt sind Spieler nun mal wie Angestellte in einer wichtigen Position, verdienen auch gut. Sie sind wichtig für das Unternehmen, bzw. das Team. Ich mag es die Spieler vorher zu sehen und mit ihnen zu reden, bevor wir sie unter Vertrag nehmen. Wir müssen schließlich Fehler vermeiden. Es geht nicht unbedingt um das Können des Spielers, am Ende des Tages können sie eigentlich alle Basketball spielen. Es geht darum, ob der Spieler zum Verein, zum Trainer, zu den Mitspielern passt. Das versuche ich im Blick zu behalten.
Alba hat keinen festen Scout, sondern nutzt lieber ein Netzwerk an Vermittlern, Agenten und Scouts. Andere Vereine, wie z.B. Bamberg in der Vergangenheit mit Brendan Rooney, nutzen einen eigenen Scout. Wäre das für Ihre Arbeit einfacher?
In der Vergangenheit habe ich immer wieder Hilfe angeboten bekommen, von Personen die als Scout arbeiten möchten. Es ist von Vorteil Personen zu haben, die vielleicht eine erste Einschätzung abgeben können, quasi die Vorarbeit leisten. Aber ich mache diese Arbeit auch sehr gerne. Die Sache ist, dass es sicherlich viele Menschen gibt, die einen guten Job machen. Aber es fließen auch immer die eigenen Vorlieben ein. Ich würde es nicht mögen, Einschätzungen von Dritten zu erhalten und anschließend Entscheidungen treffen zu müssen. Aber je größer eine Organisation wird, desto eher läuft der Prozess so ab. In der NBA haben sie ja pro Team mehrere Scouts, deswegen haben sie ja auch mich geholt. Letztes Jahr hatte ich zwei Scouts unter meiner Kontrolle, die den Spielermarkt außerhalb der USA im Auge behalten haben. Davor habe ich das selber gemacht. Es wäre aber sicherlich gut in Zukunft ein kleines Team an Scouts zu haben, welches die ersten Einschätzungen liefern kann. Die Arbeit solcher Personen sollte es ganz zu Beginn sein, auszusortieren. Damit der Manager nicht durch die Welt fliegen muss, um einen Spieler zu sehen, der letztendlich nicht gut genug ist. Aber so wie wir jetzt aufgestellt sind, ist alles in Ordnung.
Sie haben ja aus Ihrem ehemaligen Jobs bereits ein Netzwerk auf das sie zurückgreifen können …
Lasst mich dazu eine kleine Anekdote erzählen. Als ich in Gran Canaria als Sportdirektor gearbeitet habe, war da ein junger Mann aus Amerika, der eine Webseite eröffnet hatte, für Spieler aus Europa und Amerika. Er kontaktierte alle möglichen Vereine um seine Dienste anzubieten. Ich finde man sollte respektvoll mit Menschen umgehen, auch mit solchen, die vielleicht gerade erst mit ihrer Arbeit angefangen haben und noch keine wichtigen Spieler unter Vertrag haben. Manche sagen dann abschätzig ‚der hat doch nur drei Spieler unter Vertrag‘. Aber jeder sollte Respekt kriegen, jeder fängt mal klein an. Also habe ich mit diesem Mann ab und zu geredet. Er merkte, dass ich höflich zu ihm war. Vielleicht war ich sogar der Einzige, der seine Mails und Anrufe beantwortete. Wir bauten also eine gute Verbindung auf. Und wer war dieser Mann? Brendan Rooney! Jahre später bekam er den Posten bei Bamberg und leistete gute Arbeit. Er ist ein großartiger Typ. Über all diese Jahre bin ich viel gereist, habe viele Personen kennengelernt und habe nun das Glück, ein großes Netzwerk aufgebaut zu haben, auf welches ich zurückgreifen kann.
Da Sie das Reisen ansprechen: Sie waren in Atlanta, davor hatten Sie ihre Agentur, davor waren Sie wiederum in Madrid tätig. Die meiste Zeit haben Sie allerdings auf ihrer Heimatinsel Gran Canaria verbracht. Sehen sie das auch immer noch als ihre Heimat?
Definitiv ja, das bezieht sich allerdings nicht auf den Basketballclub, sondern auf die Insel. Ich bin auf Gran Canaria geboren und aufgewachsen, habe danach alles für den Klub gemacht. Angefangen habe ich als Jugendtrainer. Ich bin damals hingegangen und fragte, was ich tun kann. Ich habe quasi als Platzanweiser in der Heimarena angefangen, habe Tickets abgerissen. Dann war ich für das Trainingszentrum zuständig, habe die Anlagen geöffnet und abgeschlossen, die Körbe verschoben, jede Nacht die Umkleidekabinen geputzt. Ich habe im Verein alle Positionen im Verlaufe der Zeit mal besetzt, war Co-Trainer, Sportdirektor etc. Und irgendwann war ich dann General Manager. Ich habe also dort viele persönliche Erfahrungen gesammelt, es hat mein Leben sehr geprägt. Gran Canaria ist immer noch meine Heimat.
In Gran Canaria waren Politik und Sport recht eng miteinander verknüpft. Ist die enge Verknüpfung generell im Sport in Spanien normal?
Das ist teilweise normal. In der Vergangenheit ist viel Geld von der Lokalpolitik bzw. öffentlichen Einrichtungen in den Sport geflossen. Nach der Finanzkrise ging das nicht mehr, viele Klubs verschwanden, weil sie sich nicht um Sponsoren gekümmert hatten und auf das Geld der Öffentlichkeit angewiesen waren. Jetzt wird allerdings bessere Arbeit gemacht und manche Vereine kehren zurück.
Spanien steckt immer noch in der Krise, vor allem junge Menschen finden nur schwer einen Job. Deswegen kommen gerade auch viele von Ihnen nach Berlin. Haben Sie hier schon Kontakt zur spanischen Community?
Nein, bisher noch nicht. Dass hier viele Spanier leben, habe ich auch gehört. Es gibt sogar eine spanische comedy TV-Show, die über vier oder fünf Jungs handelt, die nach Berlin ziehen. Vieles wurde natürlich im Studio aufgezeichnet, aber sie haben auch hier in Berlin gedreht. Es geht dabei hauptsächlich um Dinge wie Wohnungssuche und die deutsche Sprache. Das fand ich witzig. Ich meinte zu meiner Frau im Spaß, dass ich die Schauspieler hier noch nicht gesehen habe. Aber in einer Community bin ich noch nicht, das wird wohl kommen wenn meine Frau hier ist und meine Kinder in die Schule gehen.
Wie alt sind Ihre Kinder und sind sie überhaupt an Basketball interessiert?
Sie fangen jetzt so langsam an. Meine Tochter wird 10 Jahre alt, mein Sohn ist gerade 8 geworden. Ihre Begeisterung beginnt jetzt. Sie sind quasi in Turnhallen aufgewachsen, aber der Sport hat sie nicht so interessiert, Videospiele etc. fanden sie besser. Jetzt spielen sie ein wenig in der Schule. Ich denke das werden sie hier in Berlin fortführen.
Alba hat ja auch viele Schulteams …
Ja, wirklich sehr viele. Meine Kinder werden dann im Herbst auf die Hausburgschule gehen und dort haben wir auch Alba-Teams. Vielleicht können meine Kinder dort mitspielen.
5 Gedanken zu „Das große Ojeda Interview (Pt. I): Vom Platzanweiser zum General Manager“