
Es ist zu einer schönen Tradition geworden, dass wir uns im Sommer mit Alba Berlins Sportdirektor Himar Ojeda zu einem ausführlichen Interview treffen. So auch wieder in diesem Jahr. Um ein wenig tiefer in die Basketball-Materie einzutauchen, Dinge zu besprechen, die im Tagesgeschäft zu kurz kommen. Wir sprachen über die Offseason, die kommende Saison, den neuen Kader, die Euroleague, den Nachwuchs und haben ein wenig weiter als über ein Jahr hinaus geschaut. Nachdem wir im ersten Teil zunächst einen Blick zurück auf die vergangene Saison geworfen haben, wenden wir uns nun konkret der Offseason zu und den Herausforderungen, die diese mit sich gebracht hat.
Lass‘ uns das vergangene Jahr hinter uns lassen und den Blick nach vorn richten. Wenn man auf den aktuellen Kader blickt, fällt auf, dass einige Spieler langfristige Verträge abgeschlossen haben (Luke Sikma, Marcus Eriksson und Jonas Mattisseck 4 Jahre, Rokas Giedraitis 3 Jahre). Das ist in der BBL ziemlich ungewöhnlich und betrifft bzw. betraf in der Vergangenheit hauptsächlich Nachwuchsspieler. Es gibt natürlich Spieler wie Rickey Paulding, aber die sind die große Ausnahme, die Regel sind Verträge über ein oder zwei Jahre. Worin siehst du die Vorteile darin, solch einen Spielerkern über mehrere Jahre zu halten, statt den jeweils individuell bestmöglichen verfügbaren Spieler auf dem Markt – möglicherweise besser als der Spieler, den man hält – zu verpflichten?
Wir wollen hier etwas aufbauen, was den Menschen vertraut ist, woran sie sich erinnern können. Die Entwicklung des Basketballgeschäfts geht auch in Richtung Globalisierung. Dadurch bekommen Spieler über die Agenten Angebote aus der ganzen Welt, selbst aus Ländern, wo sie eigentlich gar nicht unbedingt spielen wollen. Deshalb braucht man meines Erachtens Mindestanforderungen an das Gehalt. In Spanien, der wohl besten nationalen Liga Europas, hat ein Spieler nach Saisonende seinen Vertrag nicht verlängert, sondern ist nach Japan gewechselt. Das haben viele Journalisten nicht verstanden, aber der Spieler meinte, dass er dort mehr Geld verdienen würde, eine gute Situation für sich selbst dort haben würde, eine große Rolle im Team haben wird und deshalb nach Japan wechselt. Das ist eine ganz normale Situation im Basketball; gestern Spanien, morgen Japan, übermorgen Südamerika. Wir wollen eine Situation schaffen, wo Spieler sich nicht nur um sich selbst sorgen, sondern auch um ihre Mitspieler und auch um den Verein. Nehmen wir als Beispiel Luke Sikma, der einen Vierjahresvertrag unterschrieben hat. In dieser Saison spielen wir in der Euroleague, aber wir können nicht garantieren, dass wir in der nächsten oder übernächsten Saison immer noch in der Euroleague spielen werden. Wir möchten etwas aufbauen, was Bestand hat über die aktuelle Saison hinaus, was auch in der nächsten und übernächsten Saison Bestand hat. Nun haben wir Spieler wie Luke Sikma, die eben nicht denken „gestern Spanien, heute Deutschland, morgen Japan“, sondern sich auch Gedanken um die Entwicklung des Vereins machen. Denen ist wichtig, wo der Verein in drei, vier Jahren steht. Bei Spielern, die nur für ein oder zwei Jahre unterschreiben, ist die Denkweise ein wenig anders, die ziehen nach einem Jahr weiter. Luke Sikma ist es wichtig, was Alba in drei Jahren macht. Wir glauben, dass wir mit solchen Spielern etwas aufbauen können, womit sich die Leute identifizieren. Die Spieler identifizieren sich mit dem Club, dessen Werten und Zielen, der Stadt und den Fans; sie werden Teil der Organisation. Die Fans identifizieren sich dann mit solchen Spielern und auch mit dem Verein. Wenn wir solche Spieler finden, die eine entsprechende Mentalität mitbringen, wollen wir sie so lange wie möglich an den Verein binden, da wir glauben, dass solch eine Identifikation einen hohen Wert darstellt, der über rein sportliche Statistiken hinausgeht. Trotzdem wird es aber auch immer Veränderungen im Kader gehen, man wird nicht alle Spieler halten können. Das ist auch wichtig, da es Platz schafft für andere Spieler, die andere Qualitäten und Aspekte ins Spiel einbringen können. Ja, es stimmt, solche langfristigen Verträge sind in der BBL eher die Seltenheit, aber ich glaube, dass in Zukunft andere Vereine unserem Beispiel folgen werden und auch versuchen werden, einen Kern der Mannschaft länger zusammenzuhalten.
Kann es nicht auch ein Risiko sein, solche langfristigen Verträge abzuschließen? Uns fällt da als Beispiel Bamberg ein, bei denen es schien, dass sie etwas Probleme mit langlaufenden Verträgen hatten. Das kann ja viel Geld binden und auch eine Entwicklung des Vereins behindern, u.a. dadurch, dass man viel Geld für vorfristige Vertragskündigungen zahlen muss.
Ich kann über das Beispiel Bamberg nicht als Insider sprechen, diesen Einblick hat nur Bamberg selbst und nur die können sagen, ob das ein Problem für sie war und wenn ja, wie groß das war. Generell gesprochen, ist immer ein gewisses Risiko in beide Richtungen dabei. Nehmen wir als Beispiel Marius Grigonis. Dieser hatte einen Dreijahresvertrag. Nach einem Jahr ist er trotzdem gegangen, weil er in Kaunas eine für ihn noch bessere Situation sah. Manchmal haben Spieler nur einen Vertrag für ein Jahr, spielen sehr gut und dann sind sie weg. Es sind immer Verpflichtungen mit einem gewissen Risiko. Der entscheidende Punkt, ob ein Spieler für einen langfristigen Vertrag in Frage kommt, ist, zu analysieren, ob er der richtige Typ dafür ist. Ich kann nicht sagen, ob das Bamberg auch gemacht hat, aber offensichtlich waren sie nicht glücklich mit einigen langfristigen Verträgen. Wir hoffen, dass wir den richtigen Spielern langfristige Verträge angeboten haben. Spielern, denen wir als Menschen vertrauen können und die verlässlich als Mitarbeiter sind. Ein gewisses Risiko lässt sich nie ganz ausschließen, aber wir sind extrem überzeugt von den Spielern, denen wir einen langfristigen Vertrag gegeben haben.
Kann diese langfristige Bindung auch mit einer verbesserten finanziellen Situation in der BBL und bei Alba Berlin, sowie einer Professionalisierung der Liga und einem daraus resultierenden besseren Ruf der deutschen Liga zu tun haben?
Ich denke, die BBL hat schon lange einen guten Ruf bei Spielern als eine seriöse Liga, viele gute Spieler kamen auch schon in der Vergangenheit in die BBL. Das Problem sehe ich darin, die Spieler in der Liga zu halten. Es gibt eine lange, lange Liste von guten Spielern, die in der BBL ihre Karriere begonnen haben und heute Weltstars oder zumindest europäische Stars sind. Aber da haben sie die BBL längst hinter sich gelassen. Die Aufgabe wird es sein, die Bedingungen so zu ändern, damit wir gute Spieler auch in der BBL halten können, wenn sie auf ihrem höchsten Level sind. Dafür benötigen wir allerdings auch Teams, die auf dem höchsten Level spielen. In dieser Saison haben wir zwei Teams in der Euroleague, das hilft dabei, Spitzenspieler zu verpflichten und zu halten. Wir brauchen mittelfristig aber auch eine weitere Verbesserung des Basketballumfelds, langfristigeres Denken, mehr Zuschauer in den Hallen, mehr TV-Zuschauer, letztlich rundum eine höhere Bedeutung von Basketball in der Gesellschaft. Im Ergebnis bekommen wir dann größere Organisationen, größere Budgets und noch bessere Spieler. Auf der anderen Seite müssen wir auch das sportliche Niveau und die allgemeine Wahrnehmung der BBL weiter verbessern. Bei etwa gleichem Verdienst entscheiden sich die meisten Spieler eher dafür in die ACB zu wechseln, als nach Deutschland. Das sportliche Niveau und auch die Wahrnehmung sind dort einfach größer. Ich erinnere mich an einen Spieler, den ich im ersten Jahr hier in Berlin verpflichten wollte, dieser aber bei seinem Team in der ACB geblieben ist, obwohl dieses Team nicht einmal an einem europäischen Wettbewerb teilgenommen hat. Das Argument des Agenten war, dass der Spieler in der ACB zehn „Euroleaguespiele“ hat, da es dort eben fünf Euroleagueteams gibt, gegen die der Spieler je zwei Mal spielen kann. Das ist eine gute sportliche Herausforderung und es verschafft dem Spieler auch eine größere Wahrnehmung und er kann die Aufmerksamkeit der Teams mit den großen Budgets auf sich ziehen. In dieser Hinsicht muss die BBL noch wachsen. Die Spieler mögen an Deutschland, dass sie sich darauf verlassen können, dass ein Vertrag etwas gilt und sie pünktlich bezahlt werden. Sie schätzen die Professionalität, die gute Organisation in den Vereinen und die hohe Verlässlichkeit. Letztlich wollen aber Sportler immer auf dem höchstmöglichen Level spielen und sich mit den Besten messen. Wir bräuchten in Deutschland mehr Teams in der Euroleague, dem Eurocup oder der Championsleague, das würde helfen, damit noch mehr Spitzenspieler nach Deutschland kommen und in Deutschland bleiben. Die Sicherheit in Deutschland ist gut, aber oft bei der Entscheidung doch zweitrangig; es gibt immer noch Spieler, die sich für hochdotierte Verträge in anderen Ländern entscheiden, obwohl sie befürchten müssen, nicht bezahlt zu werden. Die Hoffnung, bei Spielen mit oder gegen Euroleagueteams den Zugang zu den „großen Fleischtöpfen“ zu bekommen, ist größer.
Du hast erzählt, dass du viele Anstrengungen unternommen hast, die Verträge mit Spielern wie Siva, Sikma, Giffey und Mattisseck zu verlängern bzw. Giedraitis trotz Vertrags zu halten. Ist Geld dabei das einzige Kriterium oder gibt es ganz individuelle Gründe dafür, warum sich Spieler so entscheiden, wie sie sich entscheiden?
Basketballprofi ist ein Job, den ein Spieler nicht ewig ausüben kann, die Karriere endet mit 32, 33, 34 Jahren, im besten Fall mit 35 Jahren. Deshalb ist Geld schon ein wichtiger Faktor. Und es ist auch immer eine Frage von Angebot und Nachfrage, der Markt regelt das. Wenn ich von anderen Vereinen sehr viel besser dafür bezahlt werde, dass ich meinen Job mache, ist es nur normal, wenn ich darüber nachdenke. Geld war natürlich ein Punkt bei den Verhandlungen und das Management hat sehr große Anstrengungen unternommen und eine großartige Arbeit dabei geleistet, die finanziellen Möglichkeiten zu verbessern. Das kann man gar nicht hoch genug bewerten, eine mutige und kluge Entwicklung in die richtige Richtung, die es uns auch ermöglicht, Spieler zu halten, die wir gerne weiter im Verein halten möchten. Aber es gibt noch viele andere Punkte, die wir in die Waagschale werfen können. Darüber sind wir froh. Die Spieler lieben die Atmosphäre, den positiven Enthusiasmus der Fans. Sie schätzen, was der Verein abseits des eigentlichen Spiels für sie organisiert, d.h. Unterkunft, Auto, Trainingsmöglichkeiten, medizinische Versorgung usw. Sie mögen auch die Spielweise, die ihnen viele Freiheiten und Eigenverantwortung gibt. Sie spüren, dass wir Dinge anders gestalten. Grundsätzlich sind alle mit der Einstellung in die Verhandlungen gegangen, bleiben zu wollen. Das war ihre erste Option. Somit war es an uns, das möglich zu machen. Das Gute war, dass wir es auch selbst in der Hand hatten. Natürlich kennen die Spieler auch den Markt und die Möglichkeiten. Und sie setzen sich selbst ein Limit. Sie wollen einerseits bleiben, aber andererseits auch nicht zu weit von den selbst gesetzten Verhandlungszielen abweichen. Der Verein hat große Anstrengungen unternommen, sich so weit wie möglich diesen Zielen anzunähern und letztlich ist es uns gelungen, die Spieler zu überzeugen. Beiden Seiten, den Spielern und dem Verein ist es zu verdanken, dass es dazu gekommen ist. Bei Rokas [Giedraitis] war die Situation anders. Er hatte noch einen Vertrag, aber ein Angebot, dass so hoch war, dass wir da niemals hätten mithalten können. Wir haben miteinander gesprochen, getan, was wir mit unseren Möglichkeiten tun können, um ihn zu halten, er hat es sich durchdacht und sich dann recht schnell für uns entschieden.
Kann man sagen, dass alle genannten Spieler finanziell bessere Angebote von anderen Clubs hatten, die Differenz aber nicht so groß war, um dafür das Projekt Alba Berlin zu verlassen?
Zum Beginn der Verhandlungen war die Differenz recht groß, aber beide Seiten haben sich angenähert und am Ende war dann tatsächlich die Differenz nicht mehr so groß, um dafür zu wechseln.
Im dritten Teil wird es dann konkret, wir werfen einen Blick auf die Zugänge und auch ein wenig die Abgänge im Kader und versuchen die Hintergründe der Neuverpflichtungen zu ergründen … stay tuned!
Ein Gedanke zu „Das große alba-inside Sommerinterview mit Himar Ojeda, Teil II“