Das große alba-inside Sommerinterview mit Himar Ojeda, Teil IV

Himar Ojeda, Sport Director, ALBA Berlin

Es ist zu einer schönen Tradition geworden, dass wir uns im Sommer mit Alba Berlins Sportdirektor Himar Ojeda zu einem ausführlichen Interview treffen. So auch wieder in diesem Jahr. Um ein wenig tiefer in die Basketball-Materie einzutauchen, Dinge zu besprechen, die im Tagesgeschäft zu kurz kommen. Wir sprachen über die Offseason, die kommende Saison, den neuen Kader, die Euroleague, den Nachwuchs und haben ein wenig weiter als über ein Jahr hinaus geschaut. Nachdem wir im ersten Teil zunächst einen Blick zurück auf die vergangene Saison geworfen haben, uns im zweiten Teil mit den Herausforderungen der Offseason befasst hatten, den dritten Teil den Zu- und Abgängen auf den kleinen Positionen gewidmet hatten, geht es nun heute um die „Big Man“ und die Vertragsverlängerung mit dem Coach.

Die letzte Verpflichtung ist auch die überraschendste: Tyler Cavanaugh. Gerade vor dem Hintergrund, dass Aíto jahrzehntelang bekannt dafür war, immer sehr große Center, sog. 7 footer (2,13 m und größer) zu verpflichten. Überraschend auch vor dem Hintergrund, dass in der Euroleague generell die Spieler auf allen Positionen, besonders auch die Center, ein Stück größer sind. Aber Cavanaugh ist schnell. Ist seine Verpflichtung eine Reaktion auf Entwicklungen im Basketball, der generell schneller und beweglicher wird? Hat Aíto seine Spielweise angepasst?

Ja, Aíto hat das Spiel mit 7-Footern über die vielen Jahre perfektioniert und ist wahrscheinlich der beste Coach für diese Spielweise. Das passt auch immer noch zum modernen Basketball, wo der Trend dahin geht, dass sich alles immer mehr nach außen verlagert und immer mehr Dreier geworfen werden. Das schafft Platz für richtig große Spieler unter dem Korb. Wir hätten gerne solch einen großen Spieler verpflichtet, wenn es auf dem Markt einen gegeben hätte, der groß ist und mit dem Rücken zum Korb spielen kann. Das Angebot an großen Spielern, die mit dem Rücken zum Korb spielen können, wird allerdings immer geringer. Dieser Spielertyp wird kaum noch ausgebildet, junge Coaches wollen vielmehr große Spieler mit gutem Wurf. Das ist nicht schlecht, kann aber nicht einen Spieler ersetzen, der richtig aufposten kann. Wie gesagt, wenn es einen gegeben hätte, hätten wir vermutlich einen verpflichtet, aber es gab den genau passenden Spieler nicht und wir hatten noch eine andere Herausforderung.

Wir wollten einen Big Man, der beide großen Positionen abdecken kann. Luke Sikma hatte sehr, sehr viel Verantwortung in der vergangenen Saison. Deshalb haben wir uns entschieden, einen Spieler zu verpflichten, der die Rotation auf der Powerforward Position vergrößern, aber ebenso als Center spielen kann. Weiterhin vertrauen wir auf der Center Position auf Landry Nnoko als unseren Starter und auf JT [Johannes Thiemann]. JT ist ein weiteres Jahr bei uns und wird hauptsächlich als Center spielen, gerade in der BBL wird er eine große Rolle auf dieser Position spielen.

In der Euroleague werden wir tatsächlich auf Teams treffen, die mit diesen sog. 7 footern spielen, aber ich denke, es sind nicht besonders viele. Ganz klar Barcelona mit [Ante] Tomic, Real Madrid, wenn sie [Walter] Tavares besser als Fünfer mit Rücken zum Korb einsetzen und noch einige andere Teams, die zwar solche Spieler haben, welche aber keine sehr große Rolle in der Offensive spielen, wie z.B. Tibor Pleiß. In erster Linie ist es wirklich Barcelona, die Tomic klar als Center mit Rücken zum Korb einsetzen und auch klar Systeme für ihn spielen. Wir werden Mittel und Wege finden, um effektiv gegen solche Spieler zu agieren.

Ich beobachte Tyler Cavanaugh schon seit einiger Zeit, seit meiner Zeit in Atlanta. Man braucht ein gutes Timing, wann man welchen Spieler verpflichtet. Letzte Saison war der richtige Moment, um Martin Hermannsson zu verpflichten, diese Saison ist es der richtige Zeitpunkt, um Cavananaugh zu holen. Ansonsten hätten wir ihn wohl nie bekommen. Timing ist eh ein wichtiger Punkt, die richtigen Spieler müssen auf dem Markt sein, wenn man sie braucht. Ein Spieler, den ich z.B. vor einem Jahr gern verpflichtet hätte, ist Taleb Karczewski [26, 2,13 m, 7 footer, US-Amerikaner]. Im Sommer war er nicht zu bekommen, da er es versuchen wollte, in der NBA unterzukommen. Als er kurz vor dem Saisonstart aus dem Kader der Oklahoma City Thunder gestrichen wurde, entschied er sich, nicht wieder zurück in die G-League zu gehen, aber da konnte ich ihn auch nicht verpflichten, da wir unseren Kader da schon längst zusammen hatten. Er ist dann nach Mailand gegangen und ist nun für drei Jahre ein Euroleaguespieler. Somit können wir ihn auch in dieser Saison nicht verpflichten. Tyler Cavanaugh war auf dem Markt und ich denke, dass er sehr, sehr gut zu unserem Kader passt.

Ein wenig hast du die Frage schon beantwortet, wie sehr Tyler Cavanaugh Luke Sikma entlasten kann. Unserer Meinung nach ist Luke Sikma am stärksten, wenn er sich nicht aufs Punkten konzentrieren muss, wenn er das Spiel gestalten kann. Passen, rebounden, ein bisschen von allem, aber eben nicht in erster Linie punkten. In den Finals hat München sehr physisch gegen ihn gespielt, was ihn auch müde gemacht und ein stückweit aus dem Spiel genommen hat. Inwieweit kann Cavanaugh Druck von Sikmas Schultern nehmen?

Ja, absolut! Und das auf verschiedene Art und Weise, zum einen wenn er mit ihm auf dem Feld steht, zum anderen wenn er für ihn auf dem Feld steht. Das gibt ihm mehr Zeit, um das Spiel zu „lesen“ und zu analysieren und sich zwischendrin zu erholen. Auch im täglichen Training wird sich die Situation enorm verbessern; Sikma hat einen starken Gegner im Training, Nnoko ebenso und auch Thiemann hat im Training einen starken Gegner. Es macht uns als Team stärker. Das betrifft nicht nur Sikma, auch Nnoko und Thiemann.

Wird Cavanaugh auch das Shooting und Spacing im Frontcourt verbessern?

Ja, er ist ein sehr guter Werfer bis hinter die Dreierlinie. Sikma kann gut mit dem Rücken zum Korb spielen und vor allem auch sehr gut von dort aus passen, zum Beispiel auf Cavanaugh. Oder genau umgekehrt. Wir bekommen mit Cavanaugh eine größere Variabilität, es sind viele Kombinationen denkbar, wer mit wem zusammenspielt. 

Johannes Thiemann hat in der vergangenen Saison nahezu keine Sekunde auf der Vier gespielt. Nun wird in der Euroleague alles noch ein wenig größer und physischer, sodass er für die Fünf ein wenig zu klein sein könnte. Gibt es Überlegungen, dass er sich mehr zum „Vierer“ entwickelt und inwiefern müsste er dafür sein Spiel verändern?

Er hat in der vergangenen Saison nicht auf der Vier gespielt, weil die Coaches der Meinung waren, dass er eine klare Definition seiner Rolle braucht und diese als Center gesehen haben. Wir denken, es hat ihm geholfen, sich auf eine Position zu konzentrieren. Für die Zukunft könnte es eine Option für ihn sein, sich auch ein stückweit zum Vierer zu entwickeln, ich habe auch schon mit ihm darüber gesprochen. Für diese Saison ist das Team jedoch so zusammengestellt, dass seine Position fast ausschließlich die Fünf sein wird. Dort wird es viel Spielzeit für ihn geben und es ist auch die Rolle, die er gewöhnt ist und gut ausfüllen kann. Ja, er ist für einen Center relativ klein, aber trotzdem kann er gut rebounden, ausboxen, verteidigen, passen und helfen, auch gegen größere Gegner. Meiner Meinung nach, hat er einen guten Job auf der Fünf gemacht und wird es auch in dieser Saison wieder tun können. Wir brauchen ihn auf der Fünf, dort hat er die Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln und wir geben ihm auch die Spielzeit dafür. Wir haben einen „Player Development Plan“, also eine Idee, wie sich Spieler über einen gewissen Zeitraum entwickeln sollen. Auch wenn sie diese Entwicklung nicht sofort auf dem Parkett zeigen können, arbeiten sie kontinuierlich an diesem Plan. Thiemann arbeitet im Hintergrund viel mit Carlos Frade auch an der Entwicklung zum Vierer, aber das ist nichts Kurzfristiges, d.h. nicht unbedingt für diese Saison. Für die nächste Saison müssen wir wieder ein neues Team zusammenstellen und da ist es gut möglich, dass JT eine größere Rolle auf der Vier bekommen wird. Das Gute an Thiemann ist, dass er sehr gut mit Cavanaugh zusammenspielen kann.

Du hattest mal erwähnt, dass das Team erfahrener werden soll. Nun ist Makai Mason fünf Jahre jünger als Saibou, Cavanaugh zwei Jahre jünger als Clifford, lediglich Eriksson bringt zusätzliche Erfahrung. Wie passt das zusammen?

Ich sehe Erfahrung nicht als eine Frage des Alters, sondern als eine Frage der Erfahrungen, die man schon als Basketballer gesammelt hat. Cavanaugh hat zwei Jahre Erfahrung in der NBA und der G-League gesammelt, was schon eine gute Schule ist. Trotzdem muss er noch Erfahrungen sammeln, wie man in Europa und in der Euroleague spielt, als auch, wie man an Finalspiele herangeht. Diesen Prozess muss er noch durchlaufen. Aber der große Kern der Mannschaft, Peyton Siva, Martin Hermannson, Jonas Mattisseck zum Teil, Rokas Giedraitis, Luke Sikma, Landry Nnoko, Stefan Peno, Johannes Thiemann, Niels Giffey, Tim Schneider … der große Teil des Teams, wissen nun, wie man eine Finalserie spielt. Das gibt denen die Erfahrung, wie man so eine Serie spielen muss, Erfahrungen, die sie vor ein, zwei Jahren noch nicht in diesem Maße hatten. Und wir sind so wie wir sind und unser Budget ist so, wie es ist. Es ist entspricht auch unserer DNA, einige erfahrene Spieler mit jungen Talenten im Team zusammenzubringen.

Lass‘ uns von den Spielern zum Coach kommen. Von außen wirkte es so, als ob du sehr entspannt bist, was die Vertragssituation von Aíto betrifft. Hast du da ein bisschen „gezockt“ und war es nicht risikoreich?

Ich war sehr überzeugt und habe nur ein kleines bisschen „gezockt“. Aíto hatte mir gesagt, dass er sich mit seiner Situation in Berlin sehr, sehr wohl fühlt und er es nicht in Erwägung zieht, zu irgendeinem anderen Verein zu wechseln, aber er wollte Sicherheit, was seine Gesundheit angeht, d.h. ob er in der Lage sein wird, eine anstrengende Saison wie diese anzugehen. Das war letztlich die Unsicherheit, dass es von dieser Seite her nicht passen könnte. Die Gefahr, dass er zu einem anderen Team wechseln würde, habe ich als sehr, sehr gering angesehen, das hat mir keine großen Sorgen gemacht. Ein wenig „gezockt“ habe ich in der Hinsicht, dass er komplett hätte aufhören können. Aber ich finde, es war es absolut wert, zu warten, denn wir konnten so viel mehr dadurch gewinnen, auf ihn zu warten und mit ihm weiterzumachen, als was wir dadurch hätten verlieren können, dass wir andere Optionen verstrechen ließen. Denn wir wollen Kontinuität! Kontinuität bei der weiteren Entwicklung unseres Profils und unserer Vereinskultur. Dabei hilft Aíto sehr.

… wir haben ihn gerade [Montag, 26.08.] herein kommen sehen …

Ja, er hatte heute noch eine Untersuchung und hat sich danach direkt in den Flieger gesetzt, um herzukommen und ist dann direkt vom Flughafen zum Training gekommen. Er lässt die Co-Trainer in dieser Woche ihre gute Arbeit einfach weiterführen und übernimmt dann Schritt für Schritt wieder seine Aufgaben von ihnen.

Im nächsten Teil beschäftigen wir uns mit der großen Herausforderung Euroleague und der nicht weniger großen Herausforderung Budget … stay tuned!

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