„American Football“ mit Quarterback Sikma – Ulm vs Alba

Am Samstag, 20.10.2018, 20 Uhr, wird Alba Berlin, deren Spielweise der Ulmer Coach Leibenath mit „American Football“ vergleicht, zum ersten mal in der aktuellen BBL-Saison auswärts antreten müssen. Bei ratiopharm Ulm soll die bis jetzt noch weiße Weste in nationalen Wettbewerben keinen Fleck bekommen und die Punkte von der Donau entführt werden. Die Berliner, die nach dem Erfolg am Mittwoch im Eurocup beim 11-maligen französischen Meister Limoges CSP direkt über Paris und Stuttgart nach Ulm gereist sind, werden dabei weiterhin auf die Center Dennis Clifford und Johannes Thiemann sowie Guard Joshiko Saibou verzichten müssen. Die Gastgeber, die am Dienstag ebenfalls noch im Eurocup aktiv waren und gegen AS Monaco eine 65-75 Heimniederlage hinnehmen mussten, werden eventuell ohne Javonte Green nach einer Augapfelprellung auskommen müssen.

Für 2 Stunden wird die freundschaftliche Beziehung zwischen den Ulmer und Berliner Fans - besonders wenn es gegen den "Lieblingsgegner" Bayern München geht - am Samstag ruhen müssen.
Für 2 Stunden wird die freundschaftliche Beziehung zwischen den Ulmer und Berliner Fans – besonders wenn es gegen den „Lieblingsgegner“ Bayern München geht – am Samstag ruhen müssen. Foto: Maximilian Reuss

Ulm verbindet man fast automatisch mit dem berühmten Ulmer Münster, dem höchsten Sakralbau der Welt, höher als der Kölner Dom, was dem Ulmer durchaus wichtig ist. Den ca. 162 Meter hohen Turm kann man besteigen. Man muss sogar, seitdem jemand mal die Theorie aufgebracht hat, dass so ein Besteigung Glück bringen würde. Bei mehreren Besuchen anlässlich mehrerer Top4 Turniere um den BBL-Pokal bzw. der NBBL/JBBL ließ sich diese Theorie jedoch nicht konsistent nachweisen.

Beeindruckend…

Selbstverständlich verbindet man Ulm aber auch mit Basketball. Noch mehr, seit der Verein 2011 aus der guten, alten und sehr stimmungsvollen „Kuhberghalle“ (am AdW) in die neue, bessere und ebenso stimmungsvolle ratiopharm Arena nach Neu-Ulm umgezogen ist. In der nahezu immer ausverkauften Halle veranstalten 6000 Fans einen Heidenlärm. Gleich im Jahr des Umzugs gelang den Schwaben mit der Vize_Meisterschaft ein großer Erfolg, der erste als „ratiopharm Ulm“. Dem Vorgänger SSV Ulm war dies schon einmal 1998 gelungen sowie der Pokalsieg 1996. ratiopharm Ulm konnte die Vizemeisterschaft in der Saison 2015-16 nochmals wiederholen, als man als Hauptrunden-Siebter bis ins Finale vorstieß, dort aber den dominierenden Brose Bamberg unterlegen war. Genau umgekehrt verlief die nächste Saison, als man mit 27 Siegen in Folge einen Rekord in der BBL aufstellte, in den Playoffs jedoch ein wenig der Sprit ausging. Nach einem knappen 3-2 gegen Ludwigsburg musste man im Halbfinale gegen Oldenburg trotz Heimvorteil mit 1-3 die Segel streichen.

Darüber hätte sich Coach Thorsten Leibenath – seit 2011 im Amt und dienstältester amtierender BBL-Trainer – im vergangen Jahr gefreut. Da lief einfach nichts zusammen. Mit einer negativen Bilanz von 16 Siegen bei 18 Niederlagen fuhr man das mit Abstand schlechteste Ergebnis seit dem Umzug ein und verpasste zum einzigen Mal in der Neuzeit die Playoffs deutlich.

Entgegen der angeblich für Trainer geltenden „Marktgesetze“ hielt das Management an Thorsten Leibenath fest und gibt ihm in der aktuellen Saison nochmals die Chance, es besser zu machen. Besser zu sein, als in der vergangenen Saison ist eine recht niedrige Hürde, aber der Anspruch an der Donau ist eine klare Qualifikation für die Playoffs und eine deutlich positive Sieg-Niederlagen-Bilanz. 

Es heißt „never change a winning team“, der Umkehrschluß gilt aber gleichermaßen. Ever change a losing team. Entsprechend sind aus der vergangenen Saison nur noch vier Spieler der Kernrotation geblieben. Dazu gehört selbstverständlich Pointguard Per Günther. Der 30-jährige Kapitän geht in seine elfte Saison für die Ulmer, gehört zum Inventar und gilt somit als unkündbar. Der bei Alba Berlin von 2013 bis 2017 vom Nachwuchs- zum Nationalspieler entwickelte Ismet Akpinar (23) geht in seine zweite Saison an der Donau und soll sich in Ulm noch weiter entwickeln. Er soll Günther mal beerben, wenn dieser die Sneaker an den Nagel hängt. Small Forward Ryan Thompson (30) und Power Forward Isaac Fotu (24) gehörten zu den wenigen Lichtblicken der vergangenen Saison und wurden auch für die neue verpflichtet.

Guards
Patrick Miller / Per Günther / Ismet Akpinar (PG/SG)
Katin Reinhardt / David Krämer

Forwards
Javonte Green (SF/SG) / Ryan Thompson
Dwayne Evans / Isaac Fotu (PF/C) / Max Ugrai

Center
Gavin Schilling

Kurzeinsätze
Nicolas Bretzel (C, 19) 

Das Spiel der Ulmer soll der neu verpflichtete starting pointguard Patrick Miller organisieren. Das gelingt dem 26-jährigen, der in vier Jahren als Profi schon bei sieben verschiedenen Vereinen anheuerte, bisher nur bedingt. Physisch stark und mit dynamischem Zug zum Korb ausgestattet, gelingt es ihm noch nicht, das Spiel effektiv zu organisieren. 2,5 Assists (BBL) sind für seine Rolle zu wenig, Wurfquoten um 27% indiskutabel. Wenn man bei den Quoten auch noch die zweitmeisten Würfe des Teams nimmt, macht man sich idR bei den Mitspielern nicht nur Freunde. Auf der Position des backup vollzieht sich langsam ein Generationenwechsel vom erfahrenen Per Günther zum aufstrebenden Ismet Akpinar, der ca. 10 Minuten mehr pro Spiel spielt, als der Routinier. Allerdings ist Akpinar auch noch eher ein shooting als ein point guard und Günther hat aufgrund geringerer Spielzeit weniger Einfluß auf das Spiel. Mit über alle Wettbewerbe gesehen um die 2 Assists reißen die beiden Backups auch nicht gerade Bäume aus und sind mit dafür verantwortlich, dass die Ulmer sowohl in der Liga als auch im Eurocup weit im Süden der Assists-Tabelle anzufinden sind. Der in der vergangenen Saison kurz vor Ende der Wechselfrist für den enttäuschenden Trey Lewis nachverpflichtete Scharfschütze Katin Reinhardt (SG, 25) scheut die Zone wie der Teufel das Weihwasser, nimmt dafür aber die meisten Dreier (5,6) im Team und trifft diese mit knapp 40% recht sicher. Als Backup hat sich der gebürtige Slowake mit deutschem Pass, David Krämer (21), in dieser Saison gänzlich in die Rotation gespielt. Mit gut 6 Punkten in knapp 11 Minuten bei guten Quoten füllt er seine Rolle sehr gut aus. Vom kleinen Flügel (small forward) punkten die meisten Teams vorrangig von außen, per Dreier. Das ist bei ratiopharm Ulm grundlegend anders. Der 30-jährige Routinier Ryan Thompson ist ein wahres Kraftpaket und zieht mit Dampf zum Korb, über einen verlässlichen Distanzwurf verfügt er jedoch nicht. Seinen guten Werten der letzten Saison hinkt er bisher noch in jedem Bereich hinterher. Vom Profil recht ähnlich ist der aus der zweiten italienischen Liga nach Ulm gekommene Javonte Green (25). Auch er sucht den Erfolg eher durch den Zug zum Korb, ist dabei aber deutlich effektiver als sein Pendant Thompson. In Summe stehen die beiden Forwards für ca. 21 Punkte und beachtliche 10 Rebounds. Obwohl unter 2 Meter groß verfügen beide über eine herausragende Athletik.  

Das Glanzstück des Ulmer Kaders ist die Powerforward Position. Dwayne Evans (26, 2,01 m), der in der letzten Saison Alba schon mit Ludwigsburg vor Probleme stellte und der Neuseeländer Isaac Fotu (24, 2,03 m) sind wahrlich keine Riesen für Basketballer, verfügen aber über die nötige Athletik und Sprungkraft, um die fehlenden Zentimeter effektiv auszugleichen. Mit knapp 7 bzw. 6 Rebounds sind sie sehr stark in diesem Bereich und sind durch ihre Beweglichkeit auch schwer zu verteidigen. Das Ergebnis sind 12,7 bzw. 9,3 Punkte pro Spiel bei guten Quoten. Beide können auch immer mal einen Dreier einstreuen. Der aus Thüringen (Jena) nach Schwaben gewechselte 23-jährige Max Ugrai erfüllt in 12 Minuten Spielzeit vorrangig defensive Aufgaben. Der vom College gekommene Gavin Schilling (22) ist mit 2,06 m schon der größte Spieler im Kader. In der Jugend (NBBL) war er ein überragender Athlet, bei den Profis muss er sich noch ein wenig an das Niveau gewöhnen. 3 Rebounds sind für die begrenzte Spielzeit (knapp 12 Minuten) sehr ordentlich.  

Mit diesem „undersized“ Kader spielt Ulm erwartungsgemäß einen ausgesprochen schnellen und variablen Basketball, sehr sehr „amerikanisch“, viel Isolation, viel Zug zum Korb und Forwards, die aggressiv zum Rebound gehen, auch am offensiven Brett. Sie sind insgesamt athletischer als Alba Berlin, verfügen aber aufgrund des neu zusammengestellten Kaders nicht bei weitem nicht über deren ausgeprägtes Teamplay. Schnelles Spiel erfordert eine gute Abstimmung der Spieler untereinander, da fehlt es bei Ulm noch ein wenig.

Schlüsselspieler, player to watch, key player

Reichlich Erfahrung sammelte Alba Berlin in den vergangenen Jahren mit Power Forward Dwayne Evans. Zunächst bei Gießen, dann in der vergangenen Saison in Ludwigsburg. Für die Center Clifford und Radosavljevic (dieses Jahr Chapman) zu schnell und zu beweglich, den Forwards Sikma und Schneider physisch überlegen, war er ein schwer zu verteidigender Spieler. Bei den sechs Spielen der MHP Riesen gegen Alba Berlin im letzten Jahr zeigte er fast immer starke Leistungen, so z.B. im ersten Spiel, wo ihm ein double-double gelang (11 Punkte, 11 Rebounds) oder auch in den Playoffs, wo er gegen Alba im Schnitt 17 Punkte erzielte. Auch in Ulm knüpft er nahtlos an die guten Leistungen der Vorsaison an und ein Schlüssel für den Erfolg wird es für Alba sein, seine Kreise weitgehend einzuschränken. Speziell auf Luke Sikma kommt da in der in der Defense eine Menge Arbeit zu.

Traue keiner Statistik… Die blanken Fakten sagen, dass Ulm von sechs Saisonspielen fünf verloren hat. Allerdings muss man auch sehen, gegen wen und wie diese Niederlagen zustande kamen. Gegen den Meister FC Bayern München Basketball und bei gut verstärkten Oldenburgern nach zweifacher Verlängerung kann man auch als gutes Team verlieren. Das ist – bei allem Respekt – etwas anderes, als Heimspiele gegen Crailsheim und Jena. Gegen München hat man im ersten Viertel zu viel Respekt gezeigt, war dann aber auf Augenhöhe, in Frankfurt und Oldenburg war man gleichwertig, alle drei Spiele hätte man auch gewinnen können. Auch im Eurocup hat man mit Roter Stern Belgrad (auswärts) und dem französischen Vizemeister AS Monaco gegen starke Gegner verloren, aber auch mit Galatasaray Istanbul gegen ein starkes Team nach zweifacher Verlängerung gewonnen. In Belgrad hat man im letzten Viertel ein knappes Spiel noch unnötig hoch abgegeben. In Ulm versammeln sich viele individuell starke Spieler und auch starke 1-on-1 Verteidiger, was jetzt noch fehlt, ist die Teamabstimmung, da passt noch nicht jedes Rädchen ins andere.

Alba Berlin hat bei ebenfalls sechs Saisonspielen nur eins verloren und man merkt dem Zusammenspiel an, dass das Team nur sehr punktuell verändert wurde. Auch wenn noch nicht die ganz großen Namen bei den Gegnern dabei waren, läuft da schon sehr viel sehr flüssig. Die Spieler kennen genau die Laufwege ihrer Kollegen und wissen, wie wer am besten angespielt werden sollte. Siva und Peno haben mit 15,5 Assists (8,5 / 7,0) einen mehr, als das gesamte Ulmer Team. 

Seit 2001 aus dem SSV Ulm ratiopharm Ulm wurde trafen beide Teams 31 mal aufeinander. 21 Mal behielten dabei die Berliner die Oberhand. Das letzte Mal in Ulm spielte Alba gleich am ersten Spieltag der vergangenen Saison in Ulm und musste dabei auf Spencer Butterfield verzichten. Das komplett neu zusammen gestellte Team mit dem neuen Coach Aíto galt als Aussenseiter, konnte das Spiel aber dank eines starken Auftritts von Marius Grigonis (20 Punkte, 7/8 fg, 4/4 ft) knapp mit 72-68 gewinnen. Formal war es aber gar nicht das letzte Spiel für Alba in Ulm, denn in Ulm wurde auch der Pokal ausgespielt und Alba stand im Finale gegen Bayern München (da kann sich niemand mehr erinnern, wie das ausgegangen ist). Pokal und Ulm hat auch eine Geschichte. Nicht so sehr, weil Alba alle drei Spiele (ein Mal in Berlin, zwei Mal in Ulm) und zwei Mal den Pokal gegen die Ulmer gewann, sondern auch, weil es für die Fans immer ein Highlight war und sich über die Jahre eine Art Fanfreundschaft entwickelte, die besonders innig gepflegt wurde, wenn es gegen den gemeinsamen „Lieblingsgegner“ Bayern München ging.

Der Ulmer Coach Thorsten Leibenath zieht einen interessanten Vergleich in Bezug auf die Berliner Spielweise „Die Art und Weise wie Berlin zusammenspielt ist schon besonders. Sie bewegen sich unheimlich viel ohne Ball – ein bisschen so wie ein American Football Team, wobei ihr Quarterback mit Luke Sikma ein Power Forward ist.“ so Leibenath, der den Schlüssel für den eigenen Erfolg darin sieht, „gut auf den Ball aufzupassen und in der Transition Defense wachsam zu sein. Ein Grund, warum Alba so viele Punkte macht, ist ihre hervorragende Verteidigung, wodurch sie Ballgewinne und ihr schnelles Spiel initiieren. 

Coach Aíto betont hingegen die Strapazen der letzten Tage „Wir spielen im Moment sehr viele Spiele, was nicht einfach ist. Besonders die ganzen Reisen mitsamt vieler Verspätungen machen es uns schwer. Wir müssen vor dem Spiel gegen Ulm physisch regenerieren und dazu unsere Konzentration hochhalten. Vor allem, da Ulm eine sehr talentierte Mannschaft mit guter Offensive ist.Martin Hermannsson sieht jedoch auch positive Aspekte der Auswärtstour „Dass wir jetzt eine ganze Woche am Stück unterwegs sind, hat Vor- und Nachteile: Klar ist das für den Körper durchaus anstrengend, andererseits ist der Trip eine gute Möglichkeit, weiter Teamchemie aufzubauen und sich besser kennenzulernen.“ und sieht sportlich nach dem Spiel in Limoges noch Potenzial für Verbesserungen „Offensiv haben wir sehr gut gespielt, defensiv müssen wir am Samstag hingegen wieder besser werden.

Es gibt dankbarere Aufgaben in der BBL, als auswärts in Ulm antreten zu müssen. Gerade die Situation, dass Ulm mit einer 1-5 Bilanz gestartet ist, macht es nicht einfacher. Ulm wird beweisen wollen, dass sie besser sind, als es die Statistik aussagt. Und sie sind es tatsächlich auch. Gute 76 Punkte national und 71 Punkte international (beides um Verlängerungen bereinigt) sprechen von einer ordentlichen Offense. Die Bilanz könnte noch besser sein, wenn man nicht unter 29% aus der Distanz werfen würde, dann hätte es sicher auch für den einen oder anderen Sieg mehr gereicht. Wäre, wäre, Fahrradkette. Man jedoch immer damit rechnen, dass der Knoten platzt. Das Personal für eine bessere Dreierquote haben die Ulmer im Kader und die Heimfans können das Team auch noch pushen. Da nimmt man den Wurf doch mit mehr Selbstvertrauen.

Alba Berlin ist nicht unschlagbar. Sie sind darauf angewiesen, dass ihre schon sehr gute Offense ins Laufen kommt. Dann wird es für jeden Gegner schwer, egal wo. Über die Defense gewinnt Alba die Spiele bisher nicht, die ist noch nicht da, wo sie sein könnte, es gibt noch etwas Luft nach oben. Immer wieder gibt es phasenweise Aussetzer im Spiel, die freilich nicht so sehr auffallen, wenn man eh schon mit 20 Punkten führt. Die Berliner haben oft einen Vorteil in Bezug auf Geschwindigkeit und Beweglichkeit, das wird gegen Ulm jedoch eher nicht der Fall sein. Zudem muss man Wege finden, um den Wirkungskreis von Evans einzuschränken, auch Foulmanagement wird eine Rolle spielen. So richtig passende matchups gegen Fotu und Evans hat Alba nicht, das muss als Team gelöst werden. Auf der anderen Seite müsste es Ulm erst mal gelingen die sehr gute Ballrotation der Berliner zu stoppen und deren freie Würfe zu verhindern. Die guten Quoten der Berliner sind ja keine Zauberei, sondern stehen im direkten Zusammenhang mit den knapp 28 Assists in den bisher sechs Saisonspielen.

Immer wieder beeindrucken: Die Ulmer Fans!
Immer wieder beeindrucken: Die Ulmer Fans!

      

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